Referenzen einmal anders: eine Auswahl an Persönlichkeiten, mit denen ich gesprochen habe. Hinter besonders hervorgehobenen Namen verbirgt sich ein Auszug aus dem jeweiligen Interview.
Elizabeth Strout * Jason Wu * Malcolm McLaren * Yu Tsai * Hartmut Esslinger
David Wyndorf * Claus Kleber * Daniel Coyle * Fritz Pleitgen * James Frey
Jean Michel Jarre * Scott Weiland * Sibylle Berg * Jimmy Wales * DBC Pierre
Jutta Kleinschmidt * Cecilia Bartoli * Armin Rohde * Marilyn Manson * Donna Leon
Henry Rollins * Sinead O'Connor * Emily the Strange * Paul Frank * Jim Rakete
Iris Berben * Romain de Marchi * Götz Alsmann *
"Wer würde so etwas tun, wenn er nicht müsste?"
Ihre Sätze könnte man in Stein meißeln, und sie ergäben wohlproportionierte Skulpturen. Besorgt fragt Elizabeth Strout, ob die Sätze in der deutschen Übersetzung wirklich Kraft haben. Sie brauchen einen ganz bestimmten Klang. Sätze müssen gut werden, von allein sind sie es selten. Dazu poliert die Schrifstellerin Satzteile und lässt die Buchstaben strammstehen, bis alles an seinem Platz ist und kein Stäubchen das Gesamtbild stört. Einen ganz anderen Eindruck macht in ihrem Upper East Side-Apartment der Tisch, an dem sie dieser Kunst nachgeht. Als sie gebeten wird, sich für ein Foto dort hinzusetzen, liest sie Zettel vom Stuhl auf, ein paar Kopien und viele einfache, linierte Ringbuchblätter - und stellt fest, dass mittendrin der Kalender liegt, den sie seit März nicht mehr in der Hand hatte. Sie schlägt nach, ob sie etwas verpasst hat. Dann verschwindet er irgendwo auf dem Tisch.
Frau Strout, wie organisieren Sie Ihre Arbeit?
Elizabeth Strout: Ich bin der unorganisierteste Mensch, den ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. Ich schreibe gerne gleich morgens. Das ist meine ideale Zeit. Aber mein Leben hat sich so oft verändert, dass ich eben den jeweiligen Zeitplänen angepasst habe, ob ich nun ein Baby zu versorgen hatte, einen Teenager. Ich hatte eine Familie um mich, dann lebte ich eine Weile allein, inzwischen nicht mehr. Aber zum Schreiben ist es für mich notwendig, allein zu sein. Ich kann zwar in der U-Bahn oder im Restaurant schreiben, aber nicht wenn jemand zu Hause um mich ist.
Schreiben Sie tatsächlich in der U-Bahn?
Oh ja, sicher. Ich schreibe ja ohnehin mit der Hand. Am Ende muss ich es abtippen, damit ich es klarer sehen kann. Aber dann fange ich sofort wieder an, daran herumzukritzeln, so schnell ich kann. Ich mache sofort wieder ein Durcheinander daraus.
Wo bewahren Sie all diese Zettel auf?
Das ist genau der Punkt: überall. Das ist wirklich problematisch, weil dabei Dinge verloren gehen. Neulich habe ich Teile einer Olive-Geschichte gefunden, die nie ins Buch ["Mit Blick aufs Meer", d.R.] gekommen sind. Das ist ein Problem. Und glauben Sie mir, ich habe hier heute sehr viel aufgeräumt für Ihren Besuch. Ich werde Kapitel Vier nie wiederfinden, aber egal, das macht nichts.
Wissen Sie denn, wo Ihr Pulitzerpreis steckt?
Oh, der ist hinten auf meinem Schreibtisch im Schlafzimmer, von Staub bedeckt, aber irgendwo hinter dem Foto von meiner Tochter. Doch, der ist da. Glaube ich. (lacht)
Den Pulitzerpreis haben Sie für Ihr drittes Buch "Olive Kitteridge" [dt. Titel: "Mit Blick aufs Meer"] bekommen. Werden jetzt noch Manuskripte von Ihnen abgelehnt?
Ja. Ich fliege bald nach Kroatien wegen der kroatischen Veröffentlichung von "Olive Kitteridge". Und der Lektor bat mich um eine Kurzgeschichte, die ich während eines Festivals dort lesen könnte. Ich sollte sie recht bald liefern. Ich brauche aber Jahre, um Kurzgeschichten zu schreiben. Um überhaupt irgendetwas zu schreiben. Ich schickte ihm trotzdem etwas, und seine Antwort war: "Ich glaube, dieser Geschichte fehlt die Durchschlagskraft, die die meisten Ihrer Arbeiten haben." Ich dachte: Wow! Und er hatte absolut recht. Aber es war komisch, das ist mir schon eine Weile nicht mehr passiert. Ich war froh, dass er das gemacht hat. Man will doch nicht etwas lesen, das nicht so gut ist.
Wer bekommt normalerweise Ihre Arbeit vorab zu sehen?
Ich habe eine einzige Leserin. Ich lernte sie vor 27 Jahren kennen, als ich gerade nach New York gezogen war, in einem Kurs an der New School. Zuerst wurden wir nur eine Art Kollegen. Sie schrieb auch Geschichten, und wir zeigten sie uns gegenseitig. Viele Jahre lang war das der Kern unserer Beziehung. Aber darüber lernt man sich natürlich gut kennen, und inzwischen ist sie wirklich meine beste Freundin. Und sie ist immer noch der Mensch, dem ich mein Zeug zuerst schicke.
Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, Ihrem Mann oder später Ihrer Tochter etwas zu lesen zu geben?
Einmal - oh mein Gott (lacht), ich war noch so jung, wir waren frisch verheiratet - gab ich meinem Mann eine Geschichte, die gerade abgelehnt worden war. Er lag damit auf der Couch, und er schlief ein. Das war es dann auch. Er wollte die Verantwortung nicht tragen, und ich wollte so etwas ganz sicher nicht noch einmal erleben. Erst als "Amy And Isabelle" fast fertig war, bat ich ihn, zu es lesen. Und er liebte es. Das war gut. Aber das war fast zwanzig Jahre später. Oder? Ich bin nicht so gut mit Zahlen.
Wie war das bei Ihrer Tochter?
Meine Tochter hat nie etwas von mir gelesen, und das halte ich für sehr klug. Denn sie ist Dramatikerin, schreibt also auch. Als meine ersten Geschichten veröffentlicht wurden, war sie noch zu jung. Später sagte ihr Vater: "Meinst du nicht, sie sollte das lesen?" Ich sagte: "Nein, ihr Instinkt ist vermutlich richtig." Und das stimmt auch. Es ist heikel, die Arbeit von jemandem zu lesen, den man so gut kennt. Besonders für jemanden, der versucht, eine eigene Stimme zu entwickeln, die sich sehr stark von meiner unterscheidet. Ich empfinde es so, dass Serena meine Arbeit nicht braucht. Sie hatte ja mich.
Geben Sie Ihrer Mutter Ihre Geschichten - schließlich hat sie Sie einst zum Schreiben gebracht?
Sie bekommt sie, wenn der Verlag die ersten Druckfahnen fertighat. Sie ist eine sehr schnelle Leserin, und sie hat es bei allen drei Büchern gleich gemacht: Sie liest das Buch sofort komplett durch, ruft mich an und sagt: "Das ist absolut fabelhaft!" Dann liest sie es noch einmal und ruft wieder an. "Ich habe es gerade zum zweiten Mal gelesen, und es ist wirklich toll." Und bei jedem neuen Buch sagt sie: "Das ist sogar noch besser als das vorherige." (lacht)
Können Sie diese positive Kritik annehmen - oder fürchten Sie, das sei ein bisschen geflunktert?
Ich nehme das ernst. Sie hat mir die Welt der Literatur nahegebracht, als ich noch sehr klein war. Natürlich ist sie wahrscheinlich ein bisschen voreingenommen (lacht). Aber, nein, ich traue ihrem Urteil. Ich habe ihr mal einen Einführungstext gezeigt, den ich für etwas von Edith Wharton geschrieben hatte. Sie sagte kein Wort, hat ihn einfach beiseite gelegt. Sie ist also durchaus in der Lage, vom Loben Abstand zu nehmen, wenn ihr etwas nicht gefällt.
Sie haben "Mit Blick aufs Meer" Ihrer Mutter gewidmet: Für meine Mutter, die beste Geschichtenerzählerin, die ich kenne". Wann hat sie davon erfahren?
Die Widmung war schon auf den Druckfahnen, die ich ihr gegeben hatte. Sie hat das Buch gelesen und sagte, sie fand es toll. Dann frage ich: "Was ist denn mit der Widmung?" Da klang sie ein wenig verdutzt. Sie sagte: "Ja, habe ich gesehen. Das ist schön. Aber ich bin nicht sicher, ob es wahr ist." Ich sagte: "Na ja, für mich schon."
Hat Sie Ihnen erklärt, warum sie zweifelt?
Nein. Und ich habe nicht danach gefragt. Ich habe ihr gesagt, dass ich die Widmung gerne drin hätte, und sie fand es okay, aber sie schien etwas verwundert.
Ihre Mutter unterrichtete kreatives Schreiben und hielt Sie schon sehr früh zum Schreiben an. Was denken Sie, warum Ihre Mutter nie selbst geschrieben hat?
Sie wollte immer Schriftstellerin sein, immer. Mein ganz persönlicher Eindruck ist, und das muss ich hier völlig aus der Luft greifen, weil ich sie nie danach gefragt habe und sie nie darüber geredet hat …
War das ein heikles Thema in Ihrer Familie?
Ich wollte sie einfach nicht fragen. Denn ich wusste ja, dass sie immer eine Schriftstellerin werden wollte, warum sollte ich da noch mit dem Finger darauf zeigen, dass sie nie eine geworden ist? Mein ganz persönlicher Eindruck ist: Man muss sich sehr entblößen, selbst wenn man Belletristik schreibt. Man stellt sich im Grunde draußen hin - ohne Kleider. Ich denke, das sprach sie vermutlich nicht sonderlich an. Das will ich ihr nicht vorwerfen (lacht). Wer würde so etwas tun, wenn er nicht müsste?
Warum tun Sie es denn?
Weil ich muss. Weil ich das Schreiben und die Literatur so sehr liebe, dass ich verstehe: Das gehört dazu. Es ist sicherlich kein angenehmer Teil des Jobs, aber es hat nicht viel Wert für den Leser, wenn ich nicht irgendeinen Weg gefunden habe, diese Dinge auszudrücken, die ich in höflicher Runde nicht aussprechen würde. Aber deshalb lesen wir, finde ich. Um so etwas zu finden.
Welcher Rat Ihrer Mutter war aus heutiger Perspektive entscheidend?
Sie hat vor vielen Jahren eine Sache gesagt, nicht wissend, wie wichtig das war. Ich war noch klein, ungefähr zehn, und las eine Geschichte von John Updike. Ich weiß nicht mehr, worum genau es in der Geschichte ging, aber darin wurde eine Mutter kritisiert. Ich erinnere mich, wie ich zu meiner Mutter sagte: "John Updikes Mutter muss ganz schön entsetzt sein, wenn sie diese Geschichte liest." Und meine Mutter antwortete: "Nein, so wird sie das nicht empfinden. Sie weiß, dass er ein Schriftsteller ist und dass er schreiben muss, was er schreiben muss." Das war von enormer Bedeutung für mich, es war ein großes Geschenk. Im Grunde gab sie mir die Erlaubnis, in Zukunft eine Schriftstellerin zu sein und zu schreiben, was ich schreiben muss. Ich kenne so viele Leute, die mir sagen: ‚Das kann ich nicht schreiben, meine Mutter würde sich tierisch aufregen.' Oder ‚Meinen Mann würde das verletzen.' Und dann schreiben sie es auch nicht. Deshalb war es für mich das wichtigste, was meine Mutter mir je gegeben hat.