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Elvis Presley

PERSÖNLICHKEITEN

Ich entdecke spannende Menschen und spreche mit ihnen. Klar, darauf fußen viele journalistische Darstellungsformen. Bei mir entstehen daraus häufig Wortlaut-Interviews. Handwerk oder Kunst? Ihre Entscheidung.

In meinem Blog Moment: New York gibt es weitere Geschichten und Interviews - raten Sie mal, zu welchem Thema?

Referenzen einmal anders: eine Auswahl an Persönlichkeiten, mit denen ich gesprochen habe. Hinter besonders hervorgehobenen Namen verbirgt sich ein Auszug aus dem jeweiligen Interview.

Elizabeth Strout * Jason Wu * Malcolm McLaren * Yu Tsai * Hartmut Esslinger

David Wyndorf * Claus Kleber * Daniel Coyle * Fritz Pleitgen * James Frey

Jean Michel Jarre * Scott Weiland * Sibylle Berg * Jimmy Wales * DBC Pierre

Jutta Kleinschmidt * Cecilia Bartoli * Armin Rohde * Marilyn Manson * Donna Leon

Henry Rollins * Sinead O'Connor * Emily the Strange * Paul Frank * Jim Rakete

Iris Berben * Romain de Marchi * Götz Alsmann *

"Ich will kein Teil des Clubs sein."

Erschienen in bücher, August 2009

Eine Autobiographie machte James Frey zum Star. Doch dieses Leben war erfunden. Frey wurde zum Aussätzigen. Jetzt legt er einen Roman über Los Angeles vor, die Stadt der Träume und der Lügen – und fühlt sich wohl in der Rolle des Rebellen.

James Freys erstes Buch „Tausend kleine Scherben“ erschien im Mai 2003 mit dem Vermerk, es sei eine wahre, autobiografische Geschichte. Im Januar 2006 kam heraus, dass die Bestseller- Geschichte eines Verbrechers und Drogenabhängigen mit Freys Leben nur sehr ungefähr zu tun hatte. Amerikas Talkshowpäpstin Oprah Winfrey, die ihn in den Himmel gelobt, angeblich sogar von den Ungereimtheiten gewusst hatte, schulmeisterte ihn vor einem Millionenpublikum: Er sei ein Lügner. Fans und Freys US-Verlag zeigten sich ebenso empört – letzterer mit einem guten Schuss Scheinheiligkeit. Er hatte das Vermarktungsspiel mitgespielt. Der Autor allerdings auch. Jetzt erscheint „Strahlend schöner Morgen“, ein großer Roman über Los Angeles. Frey hat ihm einen Satz vorangenstellt: „Vorsicht: Dies ist keine wahre Geschichte.“ Alles Trotz, oder was? Ganz entspannt sitzt der 39-Jährige im Besprechungsraum des Ullstein Verlags in Berlin, das Hemd ein wenig knittrig. So gar nicht wie ein Schmerzensmann der Literatur. Oder sollte man besser sagen: wie ein Wiederauferstandener?

Herr Frey, ist etwas dran an der Behauptung: Wer einmal mit einer kleinen Lüge angefangen hat, kommt schwer wieder heraus?

Darüber denke ich gar nicht nach, das ist mir egal. Völlig egal.

Stimmt es, dass Oprah Winfrey sich kürzlich bei Ihnen entschuldigt hat?

Ja.

Und was haben Sie geantwortet?

Vielen Dank.

Inzwischen sagt man, Sie hätten falsche Erwartungen an das Genre "Memoir" gerade gerückt. Schmeichelt Ihnen das?

Ich finde, Memoirs sind blöd. Dieses Genre haben Verleger erfunden, um mehr Bücher zu verkaufen. Ich wollte nie, dass „Tausend kleine Scherben“ als Memoir verstanden wird. Das ist eine Beleidigung für mich.

Warum?

Weil es darauf nicht angelegt war. Es sollte Literatur sein, Kunst, etwas, das jenseits irgendwelcher bescheuerter Etiketten liegt, die Verleger ihm verpassen und mit dem sie es vermarkten. Ich glaube durchaus, dass das Buch dieses Genre für alle Zeiten verändert hat. Jetzt sehen die Leute es als das, was es ist: Sie beurteilen Bücher nach ihrem Gehalt, nicht aufgrund angeblicher Fakten. Memoirs werden jetzt in Amerika mit einer Hinweisklausel versehen, die im Grunde anerkennt, dass die Autoren tun, was ich getan habe. Wenn das ein paar Augen öffnet: cool. Und wenn es die Vorstellungen über die Authentizität von Memoirs zerstört: super. Diese Vorstellung musste unbedingt vernichtet werden.

Klingt nach einem tollen Erfolg. Auf dem Höhepunkt der Kontroverse war James Frey allerdings für einige Monate nach Frankreich geflüchtet, weil er bei jedem Schritt aus seinem Haus von Reportern, Kameraleuten und Anwälten verfolgt wurde. So ist das mit der Erinnerung.

Ihnen hat man vorgeworfen, Sie seien ein Lügner. Jetzt schreiben Sie über L.A., wo tausende Schauspieler und Regisseure an Fiktionen arbeiten. Warum dürfen Dichter das nicht?

Keine Ahnung! Ich ziehe immer den Vergleich zu amerikanischen Politikern: An mich wird ein höherer Maßstab angelegt als sowohl für den vergangenen als auch den aktuellen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Irgendwie soll Literatur mehr den Tatsachen entsprechen und korrekter sein als die Außenpolitik unseres Landes. Das erscheint mir absurd. Aber so ist das eben, sei’s drum. Damit komme ich schon klar.

Gibt es denn keinen Unterschied zwischen Fakt und Fiktion?

Das kommt darauf an, wie Sie es interpretieren wollen (lacht). Es ist alles subjektiv. Letztendlich wollte ich eine Wahrheit finden, die jenseits der Frage nach Fakt und Fiktion liegt. Ob es etwas gibt, das wir tief drinnen wissen, das wir fühlen.

War auch Trotz Ihr Antrieb, noch einmal ein Buch zu schreiben?

Ja, sicher! Ich war durch die Kontroverse empfindlich geworden. Ich dachte: Sagt was ihr wollt, schreibt was ihr wollt, fühlt was ihr wollt, glaubt was ihr wollt – aber ich werde euch beweisen, dass nichts davon eine Rolle spielte, sondern dass die Leute meine Bücher lesen wegen der Art, wie ich schreibe, wegen des Gefühls das ich ihnen gebe, und weil diese Bücher sie verändern. Ich wollte sichergehen, dass jeder mitbekommt: Sie haben nicht gewonnen, sie haben mich nicht geschlagen. Sie sollten nicht den Eindruck haben, dass sie mich zum Aufhören bringen können. Ich habe das Gefühl, dass ich gegen eine veraltete Kultur antrete, und diese Herausforderung macht mich glücklich. Ich habe kein Interesse daran, ein Teil des Status Quo zu sein, Mitglied des Clubs, der akzeptablen literarischen Gesellschaft von Amerika. Darauf gebe ich einen Scheiß. Im Gegenteil: Ich will nicht dazugehören, weil ich keinen Respekt vor ihnen habe.

Muss man die Regeln erst kennen, bevor man sie brechen kann?

Yeah, yeah. Ich bin sehr versiert in Literatur- und Kunstgeschichte, ich kann in perfekter Grammatik schreiben, wenn ich mich dazu entschließe. Ich beherrsche das traditionelle System, aber es langweilt mich. Warum sollte ich ein Buch schreiben, das sich liest wie etwas, das es schon gibt? Ich möchte, dass jedes meiner Bücher anders ist als alles Vorangegangene, inklusive dessen, was ich gemacht habe.

James Frey sieht sieht sich eben gern in der Rolle des Rebellen. Natürlich ist so einer tätowiert, zum Teil mit kryptischen Botschaften: FTBITTTD prangt an seinem linken Oberarm.

Wann haben Sie sich dieses Tattoo stechen lassen?

Da war ich ungefähr 24, 25.

War das eine Botschaft an Sie selbst oder an die Welt?

Beides. Alles in meinem Leben will ich mit Intensität angehen. Ich will kein Schriftsteller sein, dessen Bücher von 30 Leuten gelesen werden. Ich will nicht hier sitzen und Ihnen ein Interview geben und einen ganz annehmbaren Job daraus machen. Wenn man dieses Leben lebt, sollte man es ganz und gar machen, mit so viel Liebe und Enthusiasmus wie möglich. All meine Tattoos sind Dinge, über die ich nachdenken will, an die ich mich erinnern will oder mit denen ich mir Narben zufügen will. Was dieses Tattoo betrifft: „Fuck the bullshit, it’s time to throw down“.

Das bedeutet?

Wenn ich borhabe ein Buch zu schreiben, dann schreibe ich das beste Buch, das ich kann, ich werfe alles hinein. Als Freund, Vater oder Ehemann mache ich dasselbe. Wir haben nur ein Leben, ich glaube nicht, dass es einen Himmel gibt, ich glaube nicht, dass da noch etwas anderes kommt, und ich will so viele Erfahrungen wie möglich machen, während ich hier bin.

Ihr berufliches Umfeld war davon nicht immer begeistert. Als die Kontroverse um „Tausend kleine Scherben“ begann, waren Ihre Agentin und Ihr Lektor unter den Ersten, die Sie im Stich ließen. Haben die je versucht, wieder Kontakt aufzunehmen?

Die Verlegerin hatte Interesse, das Buch herauszubringen, und ich sagte: Nein. Es ist mir egal, ob sie zurückkommen. Sie müssen nicht. Ich werde deshalb nicht anfangen zu heulen, und ich werde nicht schlecht über sie reden. Sie haben eine Entscheidung getroffen, die sie für richtig hielten. Ich glaubte, dass ich einen anderen Agenten finden würde und einen anderen Verleger. Und das habe ich auch.

Woher nahmen Sie die Zuversicht?

Weil ich schon viele harte Zeiten durchgemacht habe. Die Kontroverse war kein Spaß, ich hoffe nicht, dass Ihnen etwas Vergleichbares passiert – aber ich habe viel Schlimmeres mitgemacht. Wenn man gute Zeiten haben will, dann muss man auch die schlechten akzeptieren. Ich lebe mein Leben lieber in Extremen als in der Mitte.

Gibt es irgendetwas in Ihrem Leben, das Sie gerne ändern würden?

Nein. Ich fühle mich wohl damit, wer ich bin und wie mein Leben sich entwickelt hat. Ich habe eine tolle Frau, tolle Kinder, tolle Freunde – und ich tue, was ich will. Ich weiß nicht, was man sich noch wünschen könnte.

 

NACH OBEN!