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PERSÖNLICHKEITEN

Ich entdecke spannende Menschen und spreche mit ihnen. Klar, darauf fußen viele journalistische Darstellungsformen. Bei mir entstehen daraus häufig Wortlaut-Interviews. Handwerk oder Kunst? Ihre Entscheidung.

In meinem Blog Moment: New York gibt es weitere Geschichten und Interviews - raten Sie mal, zu welchem Thema?

Referenzen einmal anders: eine Auswahl an Persönlichkeiten, mit denen ich gesprochen habe. Hinter besonders hervorgehobenen Namen verbirgt sich ein Auszug aus dem jeweiligen Interview.

Elizabeth Strout * Jason Wu * Malcolm McLaren * Yu Tsai * Hartmut Esslinger

David Wyndorf * Claus Kleber * Daniel Coyle * Fritz Pleitgen * James Frey

Jean Michel Jarre * Scott Weiland * Sibylle Berg * Jimmy Wales * DBC Pierre

Jutta Kleinschmidt * Cecilia Bartoli * Armin Rohde * Marilyn Manson * Donna Leon

Henry Rollins * Sinead O'Connor * Emily the Strange * Paul Frank * Jim Rakete

Iris Berben * Romain de Marchi * Götz Alsmann *

"Werfen Sie Ihre Notizen weg!"

Erschienen in karriereführer Hochschulen 2/2009, Oktober 2009

Der US-amerikanische Journalist und Buchautor Daniel Coyle reiste durch die ganze Welt, um in wissenschaftlichen Labors und in Talentschmieden nach Hinweisen zu suchen, wie man lernt, eine Sache richtig gut zu beherrschen und stellt fest, dass Talent nicht angeboren ist.

Eine Fähigkeit ist eine Myelinschicht, die sich um einen Schaltkreis legt und auf bestimmte Signale hin wächst. Dieser Satz kommt in Ihrem Buch öfter vor und ist stets kursiv gedruckt. Warum?

Wenn man ein Buch schreibt, tut man das am Ende für sich selbst. Es ist ein Protokoll meiner eigenen Erforschung dieses Themas. Und dieser Satz traf es. Es war der Satz, auf den es für mich als Reporter hinauslief, und auch der Satz, den ich den Lesern hinterlassen wollte. Einer der Meistertrainer, die ich traf, lehrte mich: Wenn du jemandem etwas beibringen möchtest, mach es kurz, sehr klar, und wiederhole es. Ich versuchte, nachzuahmen, wie er es tat.

Haben Sie dabei Fehler gemacht?

Ich habe viele gemacht, viele. (lacht) Ich schaue hier gerade auf 13 Notizbücher mit je 180 Seiten, und sie alle sind gefüllt mit Fehlern. Die meisten meiner Fehler hatten damit zu tun, Wege zu finden, die Geschichte richtig zu erzählen. Es war wie ein Puzzle: Bestimmte Teile passten, andere nicht. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um das alles zusammenzusetzen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen die Notizbücher zeigen, die sind wirklich nicht sehr hübsch. Doch sähen sie schön aus, wäre es kein gutes Buch.

Wieso?

Für mich ist das Teil des Prozesses: An die Grenzen meiner Fähigkeiten zu gehen, Fehler zu machen und sie zu verbessern, das sieht nach außen hin wie ein chaotischer Prozess aus.

Sie trainieren in Ihrer Freizeit eine Jugendbaseballmannschaft. Wie überzeugen Sie Ihre Spieler davon, dass Fehler gut und notwendig sind?

Das ist schwierig. Sie sind ja ihr ganzes Leben lang zu dem Glauben erzogen worden, dass Fehler Urteile sind, der Beweis, dass man etwas eben gerade nicht kann. Die beste Art, ihnen das Gegenteil beizubringen, ist durch Erfahrung. Ich kenne Trainer, die zu Beginn der Saison einen Vertrag aufsetzen, und der erste Punkt darin lautet: Ich werde Fehler machen. Selbst kleine Kinder können das Prinzip verstehen, wenn man Fehler als ein Stück Information beschreibt, das einem etwas beibringt. Man muss ihnen das Gefühl beschreiben: Es soll sich schlecht anfühlen, frustrierend und unbequem. Wenn man möchte, dass jemand mehr Muskelmasse aufbaut, würde man ihm ja auch erklären: Du musst schwere Gewichte heben, bis es richtig anstrengend wird. Es ist exakt dasselbe mit anderen Fähigkeiten. Wenn man sie nicht strapaziert, nicht vorantreibt, dann wird man nichts gewinnen. Man muss natürlich auch feiern, wenn sie es richtig machen, und sagt ihnen dann: Das ist das Gefühl, das ist es, was du willst.

Welche Vorteile hat es aus wissenschaftlicher Sicht, möglichst früh mit dem Üben zu beginnen?

Myelin erreicht unser Gehirn in einer Folge von Wellen. Das beginnt, wenn man ziemlich jung ist. Fängt man also früh an, es für bestimmte Fähigkeiten aufzubauen, hat man einen Vorsprung, und der bleibt dann auch. Der Hauptgrund liegt allerdings in der inneren Einstellung begründet: Wenn man jung ist, verliebt man sich aus den merkwürdigsten Gründen in eine Sache. Es ergibt nicht immer einen Sinn, scheint nicht direkt auf etwas hinauszulaufen, und das ist ein Vorteil: Man ist zu jung, um den kulturellen Glauben zu übernehmen, dass man mit diesem oder jenem Talent geboren wurde.

Hat es auch Nachteile, früh anzufangen?

Drei-, Vierjährige brauchen ihre Eltern, damit es funktioniert. Das ist ein schmaler Grad. Manche Eltern machen zu viel Druck, sie vergessen, dass die Leidenschaft des Kindes für etwas das ist, was zählt. Tiger Woods wurde kürzlich gefragt, was sein Vater ihm beibrachte. Er antwortete mit nur einem Wort: "Liebe. Er hat mir einfach beigebracht, es zu lieben." Das ist wirklich alles, was Eltern tun können.

Egal, wann man beginnt: Man braucht etwa zehn Jahre, um Experte in einem Gebiet zu werden. Was halten Sie auf diesem Hintergrund von der Länge der typischen Universitätsausbildung?

Die Länge ist eher ein kultureller Wert. Mir macht etwas anderes mehr Sorgen, zumindest in den USA, ich kenne die deutschen Verhältnisse nicht: Nämlich wie viel dieser Zeit darin besteht, dass man im Seminarraum sitzt und jemandem beim Reden zuhört. Wir sind Lernmaschinen, und wenn Wissen wie ein warmes Bad einfach über uns hinwegspült, funktioniert das nicht annähernd so gut wie das Lernen durch Erfahrung, wie eine praktische Berufsausbildung, wie Mentoring. Erst wenn Menschen selbst etwas tun, regen sie Schaltkreise an, sie machen Fehler und verbessern sie. Im Klassenzimmer passiert das aber nicht sehr oft. Man sollte Schüler und Studenten selbst etwas tun lassen, sie im Optimum an der Grenze ihrer Fähigkeiten arbeiten und Fehler machen lassen.

Noch sitzen Studierende aber viel in der Vorlesung. Welchen Rat geben Sie ihnen, damit sie besser lernen oder sich auf ihr Examen vorbereiten können?

Finden Sie Arbeit! Zum Beispiel unbezahlte Praktika (lacht). Oder bei Jobs in den Semesterferien. Achten Sie darauf, dass Sie dabei mit Leuten zu tun haben, die genau das tun, was Sie einmal tun möchten. Ob es ein Praktikum bei einer Zeitschrift ist oder bei einer Bank: Die Arbeitserfahrung und das Zusammensein mit der Art Mensch, zu der sie selbst werden möchten, hat unschätzbaren Wert. Und im Seminarraum: Schaffen Sie Situationen, in denen Sie sich selbst ausprobieren und prüfen. Überprüfen Sie selbst das Wissen, das Sie dort bekommen. Also nicht einfach auswendig lernen, sondern: Werfen Sie Ihre Notizen weg und versuchen Sie, das Kapitel nachzuerzählen, das sie eben gelesen haben. Schreiben Sie in Ihren eigenen Worten auf, worum es ging, was die Kerninformationen waren. Je mehr Sie hervorbringen, je mehr Gehirnzellen Sie befeuern, desto mehr lernen Sie.

Zur Person

Der Journalist Daniel Coyle hat in Talentschmieden in aller Welt geschaut, wie Tennisprofis, Musikvirtuosen und Mathegenies lernen, und dazu Neurowissenschaftler bei ihrer Forschung beobachtet. Daraufhin nannte er sein Buch "Die Talentlüge". Schon früher schrieb der 39-Jährige über Talente: "Hardball" über Jugendbaseball in Chicago sowie eine Biografie über Lance Armstrong. Coyle lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Homer, Alaska, wo er eine Jugend-Baseballmannschaft trainiert.

 

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