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SCHöN + GUT

Ich habe eine Brille, aber keine eckigen Augen. Vom Fernsehen kann’s also nicht kommen, Mama.

Ich spreche mit Menschen aus dem schicken Geschäft: Mit Designern und Künstlern, mit Schriftstellern und Schauspielern. Welche Farbe ist das neue Schwarz? Keine Ahnung – ich frag mal nach. Bei James Frey, der sich nach dem Skandal um sein Buch in Frankreich verkroch, oder bei John, einem Türsteher auf der New York Fashion Week.

Neben Interviews und Geschichten rund um diese Persönlichkeiten schreibe ich auch Reportagen, Features und Essays, die zu einem Blick über den Tellerrand verleiten. So gehe ich etwa den Fragen nach, woher eigentlich die tiefhängenden Hosen kommen, wie viele Ausdrucksformen eine Schriftstellerin für den Zorn findet und wo die Kunstfreiheit ihre Grenzen hat.

Ein Klick auf den jeweiligen Titel, und es gibt etwas zu lesen. Unten!

Verfallende Schönheit

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Modernes Wohnen in New York

Tour durch schicke Bleiben in Manhattan.

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Ralph Lauren-Kult in der New Yorker Subkultur.

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Luxuslust

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Luxuslust

Kann man einen Vibrator auf dem Sideboard ausstellen? Designer haben sich der Herausforderung gestellt. Aber das war eine verdammt lange Geschichte.

Wie sieht der denn aus? Das will keine Frau über ihren aktuellen Lover hören. Auch wenn sie zur Not andeuten kann, dass der Typ seine Qualitäten eben unter der Bettdecke hält: Schönheit macht einfach schneller an. Ist überhaupt kein Mensch zur Stelle, gab es lange Zeit kaum eine Wahl: Die meisten Frauen haben zwar gleich zehn Finger, die besser als der oder die Neue wissen, was sie zu tun haben, und schöne Hände sind eine gute Sache. Vibratoren dagegen bringen zwar befriedigende Ergebnisse, aber nach getaner Arbeit mussten sie für lange Zeit zurück in den Medizinschrank. Zu hässlich.

Bitte gestalten Sie für uns ein Sexspielzeug! Ja, auch solche Anfragen gehen im neuen Jahrtausend bei Designern ein. Und die? Sind erst einmal abgeneigt. "Am Anfang hat es mich überhaupt nicht interessiert, ein Sexspielzeug zu designen", sagt jedenfalls Mari-Ruth Oda. Die japanische Keramik-Künstlerin, die unter anderem bereits im Londoner Victoria & Albert Museum ausstellte, formt neben Skulpturen auch Designobjekte, zum Beispiel "Sit-ables", Hocker in organischer Gestalt.

Ihre Einstellung zum Sextoy-Design änderte sich erst, als sie die beiden Frauen traf, die hinter der Anfrage steckten: Charlotte Semler and Nina Hampson, Gründerinnen des britischen Edel-Sexshops Myla. "Sie wollten, dass das Produkt wunderschön aussieht und angenehm in der Hand liegt, man sollte sich nicht schämen, es auf den Kaminsims zu stellen. Und es sollte nicht die männlichen Genitalien abbilden, es sollte ein Aufliegevibrator werden. Das alles klang nach einer spannenden Herausforderung."

So entstand 2002 "Pebble": Unregelmäßig geformt wie ein Kieselstein, elfenbeinfarben oder schwarz. Kostenpunkt: 79 britische Pfund. Zusatznutzen: Womöglich ein Lehrmittel für denjenigen Liebhaber einer Besitzerin, der noch nicht mitbekommen hat, was eine Klitoris ist. Altbackener Lustlogik wird sich ein anderer Luxusvibrator leichter erschließen, allein wegen seines Namens: "Bone" wurde vom britischen Stardesigner Tom Dixon gestaltet. Das schwarze, motorisierte Teil ist zwar dazu gedacht, in der einen oder anderen Körperöffnung zu verschwinden - sieht aber aus wie ein Kunstobjekt.

Herkömmliche Vibratoren dagegen schmerzen das Designerauge. "Sie sind ganz schön geschmacklos und übersexualisiert, dabei aber nicht im geringsten sexy", findet Mari-Ruth Oda. "Sie sind schrecklich anzusehen. Eben Dinge, die nicht dazu einladen, sie anzufassen, geschweige denn, intim mit ihnen zu werden." Kein Wunder, dass es Frauen - die Hauptnutzerinnen von Sexspielzeug - waren, die eine Wende einleiteten.

"Frauen hatten keine Orgasmen. Nicht offiziell. Nicht 1922, in meinem Geburtsjahr", beginnt Dell Williams ihre Autobiografie. Erst als sie fast 50 ist, kauft die amerikanische Werbefachfrau ihren ersten Vibrator, fühlt sich im Schmuddelambiente aber beklommen. So erfindet sie 1974 "Eve's Garden", den weltweit ersten Erotik-Versandhandel speziell für Frauen, samt gleichnamigem Laden in New York. Drei Jahre später eröffnet die Sexualtherapeutin Joani Blank "Good Vibrations" in San Francisco. Beide haben dabei Feminismus im Sinn. Und zwar einen, der Sex positiv betrachtet.

Dabei sind Selbstbefriedigung und passende Apparate dazu keine Erfindung der Frauenbewegung. Archäologen können belegen, dass sich Dildos bereits in der Antike großer Beliebtheit erfreuten - offiziell wurden damit Unterleibsschmerzen bei Frauen kuriert. Allerdings wurden sie oft auch in der Nähe von Bordellen gefunden. Die sinnenfreudige Kleopatra soll sogar eine mit Bienen gefüllte Variante besessen haben - ein früher Vorläufer des Vibrators.

Drastisch änderte sich die Einstellung zur weiblichen Sexualität in Europa mit dem Christentum. Ironischerweise stammt die erste erhaltene Schilderung eines Dildos (um das Jahr 1000 n.Chr.) von einem äußerst sündenbewussten Bischof. Und das Westfälische Museum für Archäologie in Herne zeigt stolz einen Fund aus dem 16. Jahrhundert: einen Glas-Dildo aus der Kloake der Äbtissin des Herforder Damenstifts.

Motorisierte Produkte kamen im 19. Jahrhundert ins Spiel - als medizinisches Mittel gegen weibliche "Hysterie". Damals dachte man, seltsames Frauenverhalten gehe von der Gebärmutter aus. Zur Behandlung lösten Ärzte von Hand den "hysterischen Paroxysmus" aus. Heute ist das Phänomen bekannt als Orgasmus, aber damals herrschte die Vorstellung, Frauen wären dazu nicht fähig; sie hätten keinerlei sexuelles Verlangen.

Für die Behandlung der "Hysterie" entwickelte der Amerikaner George Taylor 1869 den dampfbetriebenen "Manipulator". Das riesengroße, kompliziert zu bedienende Gerät war allerdings nicht für den Hausgebrauch. 1883 folgte das Patent für ein tragbares Modell in England, auf der Pariser Weltausstellung konnte man bereits mehr als ein Dutzend bewundern.

Schön waren sie nicht. Aber die Erhaltung der Schönheit war eines der Argumente, mit denen die Hersteller in Frauen- ebenso wie Männerzeitschriften warben. Mit dem Trend war es jedoch wieder vorbei, als die Filmindustrie die Vibratoren entdeckte - zu unanständig. Dann erst kam die Frauenbewegung ins Spiel. Die Generation, die auf Dell Williams und Joani Blank folgte, eröffnete wiederum eine Reihe von Läden, was diesmal sogar Bücher wie "Sex Toy 101" von Rachel Venning und Claire Cavanah mit sich brachte. Und Eigenproduktionen.

Trotzdem dauerte es bis ins 21. Jahrhundert, bis sich ästhetische Ansprüche durchgesetzt hatten. Ein Meilenstein mag dabei der - zunächst auch grottenhässliche - "Rabbit Habit" gewesen sein: Vor über 25 Jahren in Japan entwickelt, war er der erste "dual-action"-Vibrator, der auch die Klitoris bedient. Am penisförmigen Teil, an dessen Mittelstück rotierende Perlen den G-Punkt massieren, hängt noch ein weiterer, kleinerer Vibrator in Häschenform - die Ohren sollen den Kitzler, nun ja: kitzeln.

Inzwischen gibt es zahlreiche Nachfolgermodelle. Mit Häschen natürlich. Äffchen. Fischlein. Und an der "Eichel" des größeren Vibratorteils ein akkurat gescheiteltes Playmobilgesichtchen dazu. Das wurzelt zwar in der japanischen Urform, trotzdem: Mancher Designer denkt offenbar vor allem "Spielzeug". Oder will die weibliche Lust verniedlichen. Preisrichter zumindest stehen drauf: Die deutsche Firma "Fun Factory", die auf farbenfrohe, drollig geformte Vibratoren spezialisiert ist, räumte 2008 einen red dot design award ab für ihr zweifarbiges, S-förmig geschwungenes Modell "Delight".

Am späten Erfolg des "Rabbit" beteiligt ist wiederum seine Hauptrolle in einer Folge der Serie "Sex & The City" 1998. Denn wie in anderen Designfelder sind Prominente gut fürs Geschäft. So mancher Hersteller wirbt damit, dass Paris Hilton, Kate Moss und Konsorten sich etwas Besonderes gönnen. Damit steigt nun die Nachfrage nach Luxusprodukten.

Die schwedische Firma Lelo etwa bietet ihre aparten Vibratoren auf Wunsch auch in 18 Karat Gold an - für bis zu 7.500 Euro. Die US-Firma Jimmyjane schnappt sich das locker sitzende Portemonnaie mit limitierten Auflagen wie "Fu*k Limited", einer goldenen, gravierten Version ihres stromlinienförmigen Renners "Little Something". Und die britische Edelladenkette "Coco de Mer" lässt floral verzierte Porzellan-Buttplugs herstellen, die an Omas Sonntagsservice erinnern. Solche Luxusschlitten haben zumindest einen Vorteil: Sie enthalten keine giftigen Stoffe wie Weichmacher oder Lösungsmittel. Viele Designertoy-Hersteller weisen deshalb extra darauf hin, dass sie giftfrei produzieren.

Wohlgeformtes, gesundes Sexspielzeug gibt es womöglich demnächst auch im Laden nebenan. Der Kondomhersteller "durex", der regelmäßig "Sexual Wellbeing"-Studien finanziert, hat seit 2005 auch von Seymour Powell gestaltete Vibratoren im Programm und möchte damit gern in Supermarktketten - was nach Ansicht der Unternehmenssprecherin auch eine ästhetische Frage sei.

Und die Männer? Dürfen mitspielen. Keine Angst, liebe Heteros: So ein Aufliegevibrator surrt auch an den Hoden ganz fein. Purer Luxus ist "Cobra" (600 Euro): ein Cockring, den der Goldschmied Jon W. in Silber mit Perle gestaltet hat. Die Idee stammt von Jelle Plantenga, der als Handelsvertreter für mehrere Designer-Sextoy-Firmen arbeitet. Inspiriert von schickem Spielzeug für Frauen, hat er kürzlich ein eigenes (Herren-)Label namens "Jé" gegründet.

 

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