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Alles Taco
Zehn Jahre nach ihrem Debüt veröffentlichen Rival Schools ihr zweites Album. Daran hat so recht keiner mehr geglaubt. Bandgründer Walter Schreifels hat bereits so einige Bands verschlissen, sein Umzug nach Europa machte die Reunion auch nicht wahrscheinlicher. Aber in Brooklyn zeigt sich, dass Rival Schools eigentlich die ganze Zeit einen Platz in seinem Leben hatten - und die Zeit jetzt so reif ist, dass er sogar erstmals in seiner Musikergeschichte an ein drittes Album denkt.
Williamsburg ist das Zentrum. Hipster aus aller Welt zieht es hierher, sie führen ihre Bärte und Retro-Kopfhörer spazieren, besetzen mit ihren Gadgets die besten Steckdosen in den zahlreichen Coffeeshops und hoffen auf tolle Partys und Projekte. Aber deswegen ist Williamsburg nicht das Zentrum von Rival Schools. Praktische Erwägungen und geheime Leidenschaften führten dazu, dass die wichtigsten Stationen für die Band in diesem Teil von Brooklyn, New York liegen.
Walter Schreifels lebt hier, während Gitarrist Ian Love weiter draußen in Brooklyn wohnt und Schlagzeuger Sam Siegler sich in Manhattan niedergelassen hat. Williamsburg liegt in der Mitte. Deshalb treffen die drei sich meistens hier. "Sam und ich kennen uns, seit wir 12 oder 13 Jahre alt sind, wir haben immer zusammen in Bands gespielt, bewegen uns in denselben sozialen Kreisen." So bleiben sie auch in Kontakt, als Rival Schools zwei Jahre nach ihrem Debüt United By Fate schon wieder Geschichte sind. Immer mal wieder sprechen sie darüber, ein neues Album zu machen. "Über die Jahre trafen wir uns auch mal, um Songs zu schreiben. Aber wir hatten alle auch andere Projekte, außerdem lebte ich eine Weile lang in Europa, das verlangsamte das Ganze."
Inzwischen lebt Walter wieder die meiste Zeit des Jahres in Brooklyn und muss nur um den Block, um ins Variety Café zu kommen. Manchmal lotst er Sam und Ian ganz faul da hin. Aber meistens treffen sie sich im Oslo. Daran haben die anderen beiden mehr Spaß: "Für sie ist das so was wie ein soziales Experiment", sagt Walter. Hier nämlich können sie ausloten, wann der gutmütige Sänger die Fassung verliert. Dafür ist eine der Bedienungen verantwortlich: "Der Typ sagt so was wie ‚Na, Chef?' zu mir und kommt mir mit den schrägsten Bemerkungen", stöhnt Walter. "Und er schaut einem nie in die Augen, nie!" Der junge Mann, der sich nach Walters Wertung stets kleidet, als bewerbe er sich für eine Hauptrolle in einem Werbevideo für Williamsburg-Hipster, kann Walter in Windeseile auf die Palme bringen. "Aber alle anderen hier sind toll", schiebt er hinterher. Und er mag die Musikauswahl hier so sehr, dass er - Augenkontakt hin oder her - immer mal wieder nachfragt, was da gerade läuft.
An dieser Straßenecke geht es gemächlich zu. Ab und an schlendert jemand hinein, selten sirrt ein Handy, manchmal sieht man durch die großen Fenster ein Auto vorbeifahren. Die Fenster lassen sich komplett öffnen, im Sommer stehen Bänke auf dem Gehsteig - wie in Berlin. Man vergisst, in New York zu sein. Auf dem großen Tisch steht eine alte Schreibmaschine, daneben liegen ein paar Tagszeitungen, Walter lässt sich die Auslandsseiten reichen. Zuletzt saßen Rival Schools hier, um mit Philip di Fiore das Video für "Shot After Shot" zu besprechen. Eine kurvige, dunkelhaarige Frau soll darin vorkommen, in Schwarz-Weiß. Als das Video fertig ist, erinnert sie an einen italienischen Filmstar.
Einen neuen Song namens "Sophia Loren" stellt die Band bereits voller Vorfreude vor, als sie 2008 erstmals wieder auf Tour geht. "Den Titel mussten wir aus rechtlichen Gründen ändern", sagt Walter. Er erzählt von einem ähnlichen Problem, das OutKast mit "Rosa Parks" hatten (s. Kasten). Und auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass Rival Schools Millionen zahlen müssten, wenn sie den Namen einer Filmdiva benutzen: Die Plattenfirma besteht darauf, diese Flanke zu schützen. Der Song handelt ja nicht einmal von der Loren. "In dem Song geht es um schiefgelaufene Beziehungen, die Gefahren in dieser Hinsicht, und Sophia Loren war ein Begriff, der dabei irgendwie auftauchte. Es ist ja auch ein starkes Bild", sagt Walter.
Ein Riff aus dem Song, ein bisschen von der Struktur und die Strophen existieren schon lange - die Single verpackt eine Zeitreise. Als Rival Schools getrennter Wege gehen, nachdem Ian Love wegen eines Soloprojekts ausgestiegen ist, versuchen sie zunächst, mit einem Ersatzgitarristen zu arbeiten. Schließlich ist neues Material fertig, sie nehmen ein paar Demos auf. Unter anderem Teile des Loren-Songs. Die gesammelten Demos tauchen um 2003 herum im Internet auf - und mancher Fan handelt diese Aufnahmen als zweites Album. Darüber kann Walter nur den Kopf schütteln.
"Man kann zwölf Songs schreiben, aber das ist nur ein Haufen Songs, wenn man kein Cover drumherum packt, Interviews gibt und tourt", sagt er. "Und das waren zudem bloß Demos. Um ein Album daraus zu machen, wäre ich viel analytischer herangegangen." Bei einem Demo sage er eben viel schneller: Ach, erst mal ist das in Ordnung. Während er für ein Album an jeder Silbe, jeder Note, jedem Klang feilt - bis die Abgabefrist dazu drängt, fertigzuwerden.
Neben einer schwarzlackierten Metalltür in einem unscheinbaren Ziegelsteingebäude tippt Walter seinen Code auf einen Zahlenblock. Vermutlich hat das Gebäude einen eigenen Namen. Aber wer auch immer davon hört, wo Walter probt, lässt sogleich einen Bandnamen fallen. "Da wo TV On The Radio proben" nennen selbst die Bands des Hauses diesen Ort. An der nächsten Ecke lockt ein Imbiss namens Pies 'N' Thighs mit Südstaaten-Küche - "TV On The Radio essen da immer", imitiert Walter den heiligen Ernst in Sachen Ortszuschreibung.
Die Gänge auf dem Flur zu den Proberäumen sind mit Metallplatten an den Wänden geschützt. Walter weiß es zu schätzen. So oft räumt er Equipment hinein und wieder heraus, braucht Instrumente für einen Soloauftritt oder will einen neuen Song ausprobieren. Derzeit stehen nur seine Gitarren in einer Ecke, Ian etwa bewahrt seinen Kram ohnehin in seinem eigenen Studio auf. Doch neuerdings arbeitet er dort auch an Rival Schools-Material. "Ich schreibe immer noch die Texte und den Gesang. Aber Ian hat für mehrere Songs die ganze Musik komponiert. Das ist toll!", sagt Walter.
Kaum hat er eine Gitarre ausgepackt, gibt er den Entertainer und balanciert in Rockstarpose auf einem winzigen Verstärker. Es kommt ja nicht so oft Publikum in den Proberaum. Aber nur einmal in seiner Karriere hat er tatsächlich eine Gitarre zerschmettert. Ein anderer Musiker hatte ihm versehentlich während eines Auftritts mit seinem Instrument derart in den Gitarrenhals gehackt, dass klar war: Das gute Stück ist hin. Hinterher kamen Beschwerden: Aha, der feine Herr sei so reich, dass er mal eben seine Gitarren kaputthauen könne! "Sellout war eben ein Riesenthema in den 90ern", sagt Walter.
Beinahe kratzt "Pedals" noch mal an dieser Zeit. Einige Stücke entstanden direkt nachdem Ian gegangen war, in leicht veränderter Form und mit dem zurückgekehrten Ian an der Gitarre haben sie sie neu eingespielt. Hinzu kommen ein paar Songs aus der mittleren Phase, in der die Jungs sich mehr so zum Spaß im Proberaum getroffen hatten, während sie diversen anderen Projekten Vorrang gaben. Ein paar schrieben sie aber auch erst zwei Wochen vor den Aufnahmen. "Das gibt dem Album für mich ein gewisses Gewicht: Es erzählt einen Teil meines Lebens. Es geht natürlich nicht nur um mich, sondern um unseren verrückten Weg dahin, etwas zu schaffen."
Es gefällt Walter, seine Aufmerksamkeit neuerdings vor allem auf den Gesang und die Texte zu verwenden. Das will er noch ausbauen. Oder besser gesagt: Eigentlich hat er das schon getan. Auf der Tour für "Pedals" möchte er bereits fertige, noch neuere Songs spielen - in Gedanken ist er nämlich längst beim dritten Rival Schools-Album. Das kommt davon, wenn man so viele Jahre zwischen den Veröffentlichungen verstreichen lässt und sich dann, wenn man endlich soweit ist, noch um so Kleinigkeiten wie ein Management und eine Plattenfirma kümmern muss.
Der Endspurt für "Pedals" begann im Dezember 2008, in Sommer 2010 war es im Grunde verkaufsbereit. "Dieses Album ist für uns also schon ein Jahr alt, und manche Songs sind viel, viel älter", sagt Walter. Jetzt möchte er eine Platte machen, die damit nichts zu tun hat, die in einer kürzeren Zeitspanne entsteht und widerspielt, was jetzt gerade passiert. "Aber wenn diese Platte dann wiederum rauskommt, wird sie locker zwei Jahre alt sein."
Schwer vorstellbar. Schon jetzt erscheint ihm ja der letzte Sommer so weit entfernt, als er mal wieder in Berlin war und es immerzu geregnet hat. Weil Termine anstanden, flog er von dort ins schwüle New York zurück. Am Ufer des East River, an der Williamsburg Waterfront, wimmelte es Mitte Juli vor Menschen, auch Rival Schools waren komplett versammelt, inklusive Instrumente. Ein Engagement als Vorband von Weezer brachte Walter auf die Bühne mit Blick auf die Skyline von Manhattan. Jetzt wendet Walter den Wolkenkratzern den Rücken zu und wirft Schneebälle. Es sei immer so eine Sache, mit wem man spielt: "Bloß weil eine Band sehr bekannt sind, heißt das nicht, dass es für uns gut ist", sagt Walter und denkt dabei an die England-Tour mit The Offspring. Ganz bestimmt keine bösen Menschen, meint er, aber eben eine Band, mit der Rival Schools nur wenig gemeinsam hat - auch was die Fans betrifft. Deshalb freut sich Walter darauf, mit Trail Of Dead nach Europa zu fliegen. In New York laufen sich die Mitglieder der beiden Bands ab und an über den Weg. Vor allem aber kann Walter mit deren Musik und Fans etwas anfangen. Und ihre Debütalben erschienen zur selben Zeit, vor zehn Jahren spielten sie oft zusammen - Geschichte verbindet.
Musikalische Inspiration entsteigt aber nicht nur dem Saft, in dem die New Yorker Musikszene vor sich hin simmert. Schließlich hat Walter eine ganze Zeitlang in Berlin gelebt. Auf Solopfaden wandert er von dort ins Vorprogramm von Tomte und lernt deutschen Indierock schätzen. "Ich weiß mehr über deutschen Indierock als irgendjemand in den Vereinigten Staaten", sagt Walter. Dafür ist in erster Linie Olli Schulz verantwortlich. Der spielt Walter immer wieder neue deutsche Bands vor, übersetzt ihm geduldig die Texte, erklärt ihm Hintergründe, Geschichte und Stellenwert.
Walter mag die Musik seiner deutschen Freunden, von Tomte, Olli Schulz und Muff Potter. Aber auch Tocotronic und die Goldenen Zitronen. Seine absoluten Lieblinge sind jedoch Blumfeld. "Weil ich höre, dass die Texte so poetisch sind. Ich habe sie mir übersetzen lassen. Und wie diese Worte auf der Musik sitzen, das mag ich", sagt er. Natürlich habe er versucht, die Band schlicht und frech zu kopieren - aber so recht habe es nicht funktioniert. Seine Entdeckungen indes nimmt er mit nach New York: Bei seiner Soloband hat er es bereits geschafft, Begeisterung für Jochen Distelmeyers Soloalbum zu säen.
Bei jeder Rückkehr nach New York schockt Walter als erstes die härtere Gangart. "Es ist ein fieberhaftes Tempo. Man bemerkt es nicht, ehe man irgendwo anders gewohnt hat", sagt er. Walter ist in Rockaway Beach aufgewachsen, weit draußen in Queens hinter dem internationalen Flughafen. Schemenhaft sieht man von dort aus die kilometerweit entfernte Skyline von Manhattan. Mit der U-Bahn dauerte es anderthalb Stunden in die Stadt. Aber bald schon zog Walter ganz nah dran. Das Grundgefühl hat er längst verinnerlicht: Man ist ständig von Menschen umgeben, und zwar von solchen, die Panik haben wegen ihrer Miete, ihrer Krankenversicherung, ihrem Job. "Ich weiß, dass viele Leute in Deutschland sagen: Ich könnte nie in Berlin leben, das ist mir zu irre. Aber für mich ist es sehr entspannend und friedlich im Vergleich zu New York."
Walter schwärmt von seiner Berliner Wohnung - auf eine Art, die für Nicht-New Yorker schwer zu verstehen ist: "Ich habe da ein Zimmer nur zum Abhängen, da kann ich auch meine Musik machen", sagt er. In Williamsburg geht das nicht. Deshalb stehen seine Gitarren ja im Proberaum, und wenn er an seinen Songs arbeiten will, muss er das Haus verlassen. Eine Wohnung mit so viel Platz wie in Berlin erscheint wie ein Traum; am liebsten würde Walter sie komplett einfliegen. Im Gegenzug aber gebe es keinen vielfältigeren Ort als New York. "Nirgendwo gibt es mehr Möglichkeiten, alles kann morgen schon ganz anders sein, weil du hier jemanden kennen lernst oder da hingegangen bist." In Berlin gebe es auch viele Möglichkeiten, aber dort habe man eine schöne Wohnung, das Leben sei nicht zu teuer, das Tempo langsam. "Dort kannst du ewig an einem Manuskript oder so was schreiben, ein bisschen ausgehen … Du kannst im Grunde schon ganz jung in Ruhestand gehen dort."
So befindet Walter denn auch, dass er in Brooklyn definitiv produktiver ist als in Berlin. Es mag aber auch einfach eine kreative Phase sein, meint er. Vor Pedals hat er kürzlich ein Soloalbum veröffentlicht, das nächste bereits fertig, er muss nur einen Termin für die Veröffentlichung finden, die nicht mit Rival Schools kollidiert, für die ja auch schon wieder ein drittes Album in der Luft liegt. Im Moment hat die Band für ihn den Vorzug vor den Solosachen - die seien ja auch leichter zu organisieren und dazwischenzuschieben.
Walter ist zuversichtlich, dass er den Bann bricht, immer nur ein oder zwei Alben pro Band zu veröffentlichen. Alle Bands, die er in der Vergangenheit gegründet und wieder aufgelöst hat, hatten in seiner Vorstellung immer eine bestimmte Identität und ein bestimmtes Ziel - und sobald das vollständig war, hatte er keine Ideen mehr für sie: "Ich glaube, deshalb hat keine meiner Bands ein drittes Album herausgebracht. Ich machte stattdessen etwas anderes." Erst seit er solo auftritt, unter seinem eigenen Namen, fühle er sich frei zu tun, was immer er wolle. Oder es zu lassen: "Ich muss nicht versuchen, die Band auf Biegen und Brechen zu steuern." Zum ersten Mal benimmt er sich wie ein richtiges Bandmitglied.
Manchmal treffen sich Sam, Ian und Walter außerhalb von Williamsburg. Dann bietet Ian immer an, Walter nach Hause zu fahren. Inzwischen ist der dahintergekommen, was hinter der freundlichen Geste wirklich steckt: der - wie Walter behauptet - beste Taco Truck der Welt. Ein Bekannter von Sam, der aus Texas stammt, hat einen Imbisswagen gekauft, Personal angeheuert und dafür gesorgt, dass der mobile Texmex-Stand dauerhaft im Hinterhof der beliebten Bar Union Pool parkt. Zu weit weg von Ians Studio, um extra herzufahren, aber nicht weit von Walters Wohnung entfernt - die perfekte Gelegenheit für Ian, sich mal wieder einen Taco zu genehmigen.
Es ist erst Nachmittag in Williamsburg, Union Pool hat noch geschlossen. Zwei Mexikaner tragen Kisten in einen Seiteneingang. Durch das halbgeöffnete Tor sieht man den winterlich verlassenen Hof. Walter schaut sich um. Vor ungefähr zwei Jahren bekam er von Sam Siegler eine E-Mail: "Hey, wenn das mit Rival Schools jemals noch mal was werden soll, dann sollten wir das so ziemlich jetzt machen." Jetzt wird "Pedals" bald in den Regalen liegen, eine weitere Veröffentlichung aus dem Schreifels-Werk. Diesen Moment hat er schon oft erlebt. Aber diesmal fühlt er sich anders an.