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Rausgerissen
Im November 2008 haben die Deftones ihren Bassisten Chi Cheng verloren - er hatte einen Autounfall und hat sein Bewusstsein bis heute nicht wiedererlangt. Trotzdem ist seither viel passiert. Bei Chi. Bei den Deftones. In der Musik. Es gibt einen Song für Chi, eine ganze Compilation, die ihm gewidmet ist, aber auch elf Songs ohne ihn. Und eine Geschichte darüber, wie sehr ein fehlender Anschnallgurt das Leben vieler Menschen verändern kann.
Es ist spät abends oder früh morgens, wie man's nimmt. Abe Cunninghams Telefon summt. Eine SMS von einer Nummer, die er nicht kennt. Es stellt sich heraus, dass sie jemand schrieb, der mit dem Merchandising zu tun hat, niemand, den Abe persönlich kennt. Er ärgert sich ein wenig: Woher hat der Typ seine Nummer? Die SMS ist kryptisch. "Chi Autounfall. Im Koma. Stimmt das?" Das muss ein Gerücht sein, denkt Abe. Und ruft trotzdem bei Chino Moreno an. Der ist noch auf, weil sie Anfang November 2008 für die Aufnahmen an "Eros" Nachtschichten schieben. Auch Chino denkt, das sei ein doofes Gerücht. Um es aus der Welt zu schaffen, ruft er den Bandmanager an. Der hat nichts dergleichen gehört. Ein Glück. Eine halbe Stunde später ruft der Manager zurück: Es ist kein Gerücht. Chi Cheng, Bassist der Deftones, hatte einen schweren Autounfall und liegt im Koma.
"Ich war stinksauer", sagt Gitarrist Stephen Carpenter. Ein Jahr, drei Monate, 14 Tage, 14 Stunden und 20 Minuten nach dem Unfall rauscht immer noch das Echo seiner Wutwellen durch den Interviewraum. "Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Chi sagt: ‚Ich brauch doch keinen Gurt, Mann!' Vielleicht war ihm das nicht mal klar, weil er vermutlich sowieso total oft unangeschnallt fährt." Als alle aus der Band Bescheid wissen, fahren sie ins Krankenhaus. Sie sind mit Hoffen und Bangen beschäftigt, mit ihren eigenen Gefühlen, aber auch mit Chis Familie. Ständig stehen sie vor der Frage, was sie sagen sollen, wie und wo und wem. Stephen meint noch lange später: "Ich spreche kaum darüber, ich mag das nicht mal. Die Realität ist ja, dass mein Freund in einer schlechten Lage ist, und es gibt nichts, das ich für ihn tun kann. Die typische Reaktion von mir ist: Ich mache dicht. Es liegt ja nicht in meiner Hand. Alles, was ich tun kann, ist zuversichtlich zu bleiben."
Auch den anderen fällt es schwer, etwas über Chis Zustand zu sagen. Reden ist schon wichtig und heilsam, finden Chino und Abe. Aber ein Gespräch unter Freunden ist etwas anderes als eine öffentliche Äußerung. Schließlich sind gesundheitliche Probleme generell eine äußerst intime Angelegenheit. "Nur weil ich in einer Band mit ihm spiele, habe ich nicht das Recht, für ihn zu sprechen", sagt Chino. "Ich finde, dass das eine Privatsache ist, die zwischen ihm und seiner Familie bleiben sollte. Wichtig ist, was sie öffentlich machen möchten."
Trotzdem bleibt es wie üblich an Chino hängen, ein offizielles Statement abzugeben. In solchen Fällen gibt es immer eine Menge Freunde und Bekannte, die informiert werden wollen. Hier kommen die Fans in aller Welt hinzu. Er setzt sich hin und schreibt in den Deftones-Blog: "Es macht mich zutiefst traurig, euch alle darüber zu informieren, dass unser Bruder Chi Cheng einen schlimmen Autounfall hatte. Er liegt in einem Krankenhaus in Nordkalifornien in ernster, aber stabiler Verfassung. Ich bin auf dem Weg in den Norden, um zusammen mit dem Rest der Band und der Familie an seiner Seite zu sein. Chi ist einer der stärksten Menschen, die ich kenne, und ich bete, dass seine Stärke ihn hier durchträgt. Bitte betet auch für ihn."
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Innerhalb weniger Tage wird Chinos Blog-Eintrag über tausend Mal kommentiert. Alle Reaktionen werden an Chis Familie weitergeleitet. Und fast sofort schaltet sich Chis Mutter Jeanne Cheng ein. Sie bittet darum, dass in Chis Namen jeden Tag eine gute Tat vollbracht werden soll, und ihre Aufgaben stellt sie zunächst über Chino, dann selbst im Blog bereit. Die erste lautet: Schnallt euch an. Und sagt das auch euren Freunden.
Von Jeanne Cheng ist auch zu erfahren, dass Chi Glück gehabt hat: Zufällig kamen drei Rettungssanitäter außer Dienst am Unfallort vorbei und leisteten erste Hilfe. Man weiß nicht, was sonst passiert wäre. Jeanne liest Chi im Krankenhaus all die Genesungswünsche, Blog-Kommentare und E-Mails vor, die die Band und Freunde ihr mitgeben. Und sie liest ihm aus "Wake Up" von Jack Kerouac vor. An jeder Kleinigkeit hängt ein Seidenfaden mit einem Klumpen tonnenschwerer Hoffnung. Chis Oberlippe hat sich bewegt. Er sah so aus, als hätte er etwas gehört. Im Blog schreibt sie kurz darauf: "Der Neurochirurgie-Chef erwartet einen zähen Genesungsprozess, aber am Ende sollte Chi wieder Bass spielen können."
Wenige Tage nach dem Unfall kennen sich weder die Deftones noch Chis Familie mit schweren Hirnverletzungen aus. Sie sprechen mit den Ärzten und warten darauf, dass Chi aufwacht. Und dass er dann wieder ganz der Alte ist. Aber die Chancen, dass diese Hoffnungen berechtigt sind, sinken, je länger das Koma dauert. Nach wenigen Tagen fragt Jeanne den Chefarzt, mit welchem Geschenk sie dem Krankenhauspersonal ein wenig für seine Hilfe danken kann. Man bittet sie daraufhin um Konzertkarten. Wann die Deftones aber wieder auftreten werden, liegt völlig im Dunkeln. Die Band geht auch nicht mehr ins Studio. Obwohl "Eros" nach einem Jahr Aufnahmen so gut wie fertig ist.
Inzwischen bekommt noch jemand eine Nachricht, diesmal per E-Mail: "Kennst du die Jungs nicht?", heißt es darin, darunter ein Link zu Chinos Nachricht im Deftones-Blog. Gina Blackmore traut ihren Augen nicht. Vor Jahren lernte sie Chino über einen gemeinsamen Freund kennen, und seither trafen sie und ihr Mann die Band, wann immer sie in Texas unterwegs war. Sie spricht mit Chino. Bald darauf tritt sie in Kontakt mit Chis Mutter. Und kurze Zeit später hat sie eine Idee.
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Im Januar hat sich Chis Zustand nicht sonderlich gebessert. Unter den übrigen Deftones herrscht wochenlang eine schockstarre Stille. Als wäre ein Zug quietschend zum Halten gekommen, nur um dann einzurosten. Gerade erst hatte die Band den Eindruck gehabt, sie würden sich wieder richtig nahestehen. "Wir hatten gerade ein Jahr im Studio in Sacramento verbracht und dort jeden Tag zusammen gearbeitet, wir hatten einen Packen guter Musik gemacht, unsere Kameradschaft war sehr stark", sagt Chino. Und dann das. Jeder versucht, mit der Situation klarzukommen. Allein. "Wir haben Chi alle besucht, aber immer zu unterschiedlichen Zeiten, waren also für eine Weile nicht mehr alle zusammen", sagt Chino. Irgendwann setzen sie ein Treffen an, allein schon, um zusammenzusein, wenn auch ohne Chi. Und plötzlich überkommt Chino ein starker Drang: "Sobald wir in einem Raum zusammenkamen, wollte ich unbedingt wieder spielen. Musik hat einen heilenden Charakter für uns."
Darüber, wer bei der Musiktherapie dann den Bass übernehmen soll, denken die übrigen vier Deftones gar nicht erst nach. Sie rufen direkt Sergio Vega von Quicksand an. Gut zehn Jahre zuvor war er schon einmal für Chi eingesprungen. Damals hatte der sich kurz vor einer Tour den Fuß gebrochen. Und jetzt soll Sergio von New York nach Kalifornien fliegen, damit die Deftones jammen können. Sergio erinnert sich noch gut daran, wie es war, mit den Deftones zu touren. Nur ein paar Tage hatten sie damals Zeit, alle waren aufgeregt, dass sie das so kurzfristig hinbekommen mussten, und daraus ergab sich eine einzigartige Atmosphäre: Sie wollten alle dasselbe. "Als nun der Anruf kam, hatte ich die Wärme dieser Erfahrung im Kopf", sagt Sergio. "Das paarte sich dann aber schon mit der Frage, wie sie wohl inzwischen drauf sind, was für Leute aus ihnen geworden sind, aber ich dachte: Ach komm, ich mag die Jungs, und wenn sie mich brauchen, mache ich das."
So treffen sich die Fünf in Sacramento. Sie wollen einfach nur wieder das Gefühl haben, das ihnen die Musik gibt. Sie beginnen mit Stücken, die Sergio noch von der Tour kennt, bei der er für Chi eingesprungen ist. "Aber noch am selben Tag entstand ein brandneuer Song", sagt Chino. "An diesem Punkt kam die Entscheidung." Das allerdings kann er erst im Rückblick feststellen. Im Interview, das etwas mehr als ein Jahr nach dieser Probe stattfindet. Da weiß er schon, dass besagter Song das zweite Stück auf einem Album wird, das zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal denkbar ist.
Aber allen in der Band wird in diesem Januar 2009 klar, dass seit Monaten eine dunkle Wolke über ihnen hängt, deren Schatten sie festhält. "Wir können entweder einfach darunter stehen bleiben, warten, bis etwas passiert, und solange alles blockieren. Oder wir können uns in der Musik offenbaren", sagt Chino. Stephen entwickelt gar eine ganze Philosophie darüber, dass man selbst über sein Leben entscheidet, und zwar immer nur in der Sekunde, die man wirklich beeinflussen kann: die unmittelbare Gegenwart.
Die Deftones entscheiden sich dafür, in die Musik einzutauchen, sich ein Ventil zu gönnen für das, was ihnen Sorgen macht, und vom Gemeinschaftsgefühl zu zehren. Kurzum: Sie wollen wieder spielen. Am 6. Februar 2009 geben sie bekannt, dass sie im April auf dem Bamboozle Festival auftreten werden. "Das erste Konzert ohne Chi war ganz schön hart, ich wollte das hinter mir haben", sagt Abe. Er macht sich Gedanken, ob Sergio sich wohlfühlt, da im Rampenlicht, beäugt von Fans, die längst nicht alle wissen, dass Sergio kein Fremder für die Deftones ist. Oder dass er in Sachen Hardcore einen guten Namen hat. Sergio selbst schwankt: "Ich war hin- und hergerissen zwischen der Sorge, wie ich wahrgenommen werde, und mich nicht darum zu scheren. Aber in erster Linie ging es darum, sicherzustellen, dass diese Jungs hier begeistert sind."
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Chi liegt derweil immer noch auf der Intensivstation. Die Behandlung ist teuer. Mitte Januar 2009 sind die Grenzen dessen überschritten, was die Krankenversicherung übernimmt. Und so startet Gina Blackmore im März 2009 die Website "One Love For Chi" - vor allem, um Spenden zusammenzukriegen, aber auch, um Fans und Freunde auf dem neuesten Stand zu halten. Diese Arbeit auf sich zu nehmen, ist für sie gar keine Frage. "Weil ich Chi kennen gelernt habe", sagt sie. "Nach jedem Treffen mit ihm fühlte ich mich immer reich gesegnet, mit ihm zu sprechen weckte jedesmal in mir den Wunsch, zu einem besseren Menschen zu werden. Es erschien mir ganz natürlich, ihm auf jede Weise helfen zu wollen, die möglich ist."
Das Ziel, ein guter Mensch zu werden, gehörte zur buddhistischen Lebensführung von Chi Cheng. Er sprach darüber. Schrieb darüber. Startete in seiner freien Zeit ein Projekt, bei dem Obdachlose Musik machen können. Deshalb die Aufgaben, die seine Mutter stellte. Deshalb auch die Resonanz, als klar wird, dass Chi Hilfe braucht. Ganze Wagenladungen voller Auktionsobjekte kommen im Verlauf des Jahres zusammen: Signierte Poster, Alben und Gitarren, Konzert- und Festivaltickets, Backstage-Pässe und so fort. Man kann mit seiner Band einen Tag im Studio mit Mark Hoppus (Blink 182) ersteigern, ein kurzes Telefonat mit einem Bandmitglied von Taking Back Sunday oder eine Reise zur ausverkauften Silvestershow von HIM. Und ein signiertes Hochglanzfoto von Christina Aguilera. Und eine Deftones ESP-Gitarre, die von der gesamten Band signiert ist. Inklusive Chi.
Im Sommer 2009 nehmen 14 namhafte Musiker, darunter Mitglieder von Korn, Sevendust, Slipknot und Machine Head, einen Instrumentalsong auf. "A Song For Chi" erscheint als Single, der Erlös geht an dessen Familie. Im Herbst antworten Bands aus Ungarn, Serbien und weiteren europäischen Ländern mit einer Benefiz-Compilation namens "From Eastern Europe With Love". Initiiert wurde das Projekt vom Rumänen Razvan Radulescu (aka DJ Hefe). Seine Band heißt Coma.
Auch die Deftones denken wieder ans Studio. Im Juni lassen sie zunächst verlauten, dass sie Eros nicht veröffentlichen werden. Es seien künstlerische Gründe, die sie dazu bewegen, und nicht Chis Unfall, so der Tenor. Doch viele Monate später wird sich das ändern. Da sagt Abe: "Der Unfall hängt da schon irgendwie dran. Aber die Platte wird definitiv noch ans Tageslicht kommen, sie ist nicht in irgeneinem dunklen Grab eingeschlossen."
Im September kommt Chi nach Hause. Seine Mutter wird ihn fortan pflegen, unterstützt von moderner Technik und vielen Helfern. Gina haut Updates über seinen Zustand auf der Benefiz-Site raus wie am Fließband, sie steht in täglichem Kontakt zu Jeanne Cheng - "auf allen Wegen, per SMS, Telefon, Facebook, Chatroom auf der One Love-Website, Telepathie." Zu fast derselben Zeit beginnen die restlichen Deftones zusammen mit Sergio mit den Aufnahmen von Songs, die Chi nicht kennt. Und ein gutes Jahr nach dem Unfall veranstalten sie ein Benefizkonzert, das sich auf zwei Tage ausdehnt. Die Gäste kommen in Scharen. Nicht nur im Publikum. Xzibit springt für "Back to School" mit auf die Bühne, Ben Kenney (Incubus) bei "Street Carp", Shavo Odadjian von System Of A Down spielt "Aerials" and "Toxicity" mit Chino am Mikro. Nur Chi fehlt.
Das nächste große Benefizkonzert im Januar 2010 organisiert unter anderem Gina Blackmore. Zwischen Musikern von Bands wie Korn, P.O.D. und Cypress Hill betritt ein Mann im grauen Anzug die Bühne. "Erst dachte ich, sie wollen, dass ich mit der Gruppe da singen und jammen soll", lacht Dr. Philip De Fina, Gründer der International Brain Research Foundation. Gina und Jeanne sind auf Artikel über seine Arbeit gestoßen: Er weckt Patienten wie Chi auf. Die Erfolgsquote seiner neuen Methode liegt bei 84 Prozent. Davon erzählt er den Fans und sagt, dass sein Team sehr hart daran arbeiten wird, ihn wieder in einen bewussten Zustand zu versetzen. Da gibt Hoffnung. Trotzdem müssen Chis Angehörige damit zurechtkommen, dass De Fina Tacheles redet: "Die Genesungs-Wahrscheinlichkeit bei Patienten wie ihm liegt bei fünf Prozent."
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"Wenn jemand aus dem persönlichen Umfeld so schwer krank ist, hilft es sehr, kontinuierlich von Freunden und der Familie unterstützt zu werden", findet Gina. "Und vor allem: Glauben und Zuversicht. Seit ich von Chis Unfall erfahren habe, habe ich nicht ein einziges Mal Angst gehabt, dass er nicht wieder gesund wird." Doch die Hoffnungen haben sich verändert. Erst ging es darum, ob er in Lebensgefahr ist. Dann darum, wie er die kritischen ersten 72 Stunden nach dem Unfall übersteht. Und dass er ganz schnell aufwachen soll. Große Wünsche. Inzwischen fließen Freudentränen, weil Chi seine Arme und Beine bewegt. "Mama" habe er gesagt. Oder war da am Ende die Sehnsucht stärker als das Ohr?
Es sei ein gängiger Irrglaube, dass ein Mensch in diesem Zustand Informationen verarbeiten, also zum Beispiel zuhören und verstehen kann, stellt Dr. De Fina klar. "Chi ist im Moment in einem Wachkoma. Er wird wacher, bleibt länger wach und bewegt alle vier Extremitäten aktiver. Das bedeutet, dass sein Gehirn anfängt, sich chemisch und elektrisch zu verändern. Das ist ermutigend, aber nicht beweiskräftig."
Trotzdem ist es nicht sinnlos, Chi vorzulesen, ihn zu berühren oder ihm den Fernseher mit der Lieblingssendung anzuschalten. Aber es wirkt sich anders aus, als die meisten Angehörigen denken. "Der Körper verarbeitet erstens ja nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst", sagt De Fina. "Zweitens: Wenn er an den Punkt kommt, an dem er Eindrücke bewusst verarbeiten kann, sind diese Sinneserfahrungen therapeutisch sinnvoll für ihn. Es schadet nicht, früh damit anzufangen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist seine Fähigkeit, davon zu profitieren, vermutlich sehr begrenzt." Und das Aufwachen wäre ja nur der erste Teil. Patienten wie Chi müsse man danach mit zig Methoden dabei helfen, ihre motorischen Fähigkeiten und ihre Wahrnehmung zu verbessern, ihre Fähigkeit, aufmerksam zu bleiben, sich zu konzentrieren, aber auch Gefühle und Verhalten. Wer aus einem Wachkoma herausgekommen ist, muss erst wieder zu einer Person werden.
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Chi ist nicht tot. Auch nicht in Lebensgefahr. Aber er ist auch nicht da. Plötzlich muss man über Chi in der Vergangenheit reden. Und sobald man nicht direkt über medizinische Dinge spricht, sondern über seine Person, klingt das nach Nachruf. "Es wird immer eine gewisse Leere geben", sagt Chino. "Immer wenn ich auf der Bühne nach links schaue und ihn nicht sehe. Oder höre: Es gibt Gesangsparts, die er immer mitsang, da traf er überhaupt nicht die Töne und ich dachte: Dreht ihn runter!"
Bei seinem letzten Besuch hat Chino Chi Musik vorgespielt. Nichts von den Deftones, sondern alte Sachen, von denen er weiß, dass Chi sie mag, weil sie die als Jugendliche gern gehört haben. "Ich mache diese Dinge, die ihn vielleicht stimulieren können. Er soll wissen, dass viele gute Sachen auf ihn warten. Dass Leute da sind, die ihn lieben und darauf warten, dass er aufwacht, um wieder hier bei uns zu sein." Als sie zum ersten Mal auf Tour gingen in ihrem kleinen Van, waren Chino, Chi und die anderen fast noch Kinder. Sie fanden es damals besonders cool, dass niemand sie schlafen schicken würde. Jetzt hätten sie am liebsten jemanden, der Chi weckt. Chino träumt immer noch davon, dass Chi eines Tages wieder mit ihm auf der Bühne steht. Aber er ist vorsichtig geworden mit seinen Wünschen. "Meine Hoffnung ist eher, dass er wieder sprechen kann, dass ich mich mit ihm unterhalten kann. Dass er den Rest seines Lebens genießen kann." Dann könnte Chi ihm vielleicht sagen, was er von "Diamond Eyes" hält. Oder schief mitsingen.