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Bei jeder Bandpause schwingen Gerüchteköche den Löffel; steigt ein Bandmitglied aus, ist das das Salz in der "Aufgelöst!"-Suppe. Nun haben Rancid aber mit neuem Schlagzeuger doch wieder eine Platte gemacht. Tim Armstrong und Lars Frederiksen zeigen, dass die Meinung anderer ihnen völlig schnuppe ist - es sei denn, Beschimpfungen werden zum Kompliment.
Sechs Jahre sind vergangen seit eurem letzten Album. Was hat euch getrieben, doch noch eine weitere Platte aufzunehmen?
Lars Frederiksen: Rancid ist das Mutterschiff, von dem sich alles mögliche ausbreitet. In den letzten sechs Jahren haben wir ein paar Soloplatten gemacht, einige gemeinsam (s. Margi). Wir machen also kontinuierlich Musik. Im Grunde waren wir in der ganzen Zeit nie weit voneinander weg, und wir sind enge Freunde.
Warum hat Brett Reed dann die Band verlassen?
Lars: Nun ja, Brett wollte sich verändern und mit anderen Dingen weitermachen. Das ist okay. Als er sich zurückzog, gab er uns sogar Vorschläge mit auf den Weg, wer als neuer Schlagzeuger in Frage käme. Aber die brauchten wir dann gar nicht. Denn ein paar Wochen, bevor Brett ging, hatte Branden Steineckert uns in Salt Lake City im Tourbus besucht. Wir kennen Branden, seit wir 2003 mit The Used auf der Warped Tour waren, er war sozusagen unser Liebling unter den Mitgliedern von The Used. Er kam also in den Bus und sagte: "Stellt euch vor, meine Band hat mich rausgeschmissen!" Weil wir diesen Besuch noch im Kopf hatten, haben wir gar nicht erst verschiedene neue Schlagzeuger ausprobiert. Wir wussten, Branden ist unser Mann. Jetzt ist er schon seit fast drei Jahren in der Band, und die Chemie stimmt. Diese Platte bezeugt das.
Nicht alle eure Songs sind so harmonisch, wie das jetzt klingt. In vielen heißt es, andere haben unrecht, ihr habt recht: Seid ihr Sturköpfe?
Tim Armstrong: Das würde ich generell nicht sagen. Aber vielleicht, wenn es die Band betrifft: Rancid ist schon eine abgeschottete Inselwelt, wir regeln alles intern. Freundschaft steht an erster Stelle. Ich bin mit Matt Freeman schon mein ganzes Leben lang befreundet, seit dem ersten Schuljahr. Wir machen unser Ding, wir hören wirklich auf niemanden.
Trotzdem wollen andere euch sagen, was ihr falsch macht. Im Song "Last One To Die" ist das ein Thema.
Tim: Ach, das geht schon so, seit wir Kinder sind. Zum Beispiel haben mir die Leute in den 80ern erzählt, Punkrock sei tot. Verstehst du? Das würde ich nie sagen. Nie! Ich kann doch nicht wissen, was in anderen Stadtvierteln, Städten, Ländern abgeht. Ich habe solche Bemerkungen auch von Bands gelesen, die ich liebe, und gedacht: Woher wisst ihr das denn? Wir sind hier, wir spielen das Zeug! "Last One To Die" sagt im Grunde also: Wir sind immer noch hier. Wir gehen nicht weg. Auf die nächsten verfluchten 20 Jahre.
Auf eurem Weg habt ihr ein paar Experimente gemacht. Zum Beispiel: Euer letztes Album wurde von Warner vertrieben, diesmal aber …
Tim: Brett Gurewitz hat das Album produziert, und es war seine Idee, sich mit Warner Brothers zusammenzutun. Wir dachten, dass Brett viel mehr beteiligt wäre.
Wer wollte das denn diesmal nicht wiederholen: Warner, Epitaph oder Rancid?
Tim: Direkt nach dieser Sache mit Warner hat Lars eine Soloplatte namens "The Viking" mit Hellcat gemacht, an der ich mitgeschrieben habe, ich habe sie auch produziert. Wir waren also sofort wieder bei Hellcat. Und Brett Gurewitz, der damals ja produziert hatte, hat jetzt wieder völlig die Kontrolle. Es war cool, eine Platte mit Warner zu machen, aber wir möchten das nicht wiederholen. Wir stehen drauf, völlig unabhängig zu sein.
Was heißt das konkret?
Tim: Wir machen unsere eigenen T-Shirts, wir managen uns selbst, unser Booking Agent ist unabhängig. Wir sind 100 Prozent Indie. Nicht Indierock, Indie Punkrock. (lacht)
Wie kam es dann, dass du Songs für Pink geschrieben hast?
Tim: Ich hatte einen Song für Pink, davon erzählte ich ihr, als ich ihr begegnete. Daraufhin besuchte sie mich, und prompt gefiel ihr noch einer und noch einer. Am Ende nahm sie eine Handvoll meiner Songs, ein paar haben wir gemeinsam geschrieben. Musik hat für mich keine Grenzen. Wenn ein Künstler Musik genausosehr liebt wie ich, ob das nun Pink ist oder Travis Barker, dann bin ich bereit für ein Tänzchen. Meine Lieblingsmusik ist Punkrock, die Ramones haben mich wie der Blitz getroffen. Darauf basiert für mich alles. Aber ich arbeite gern mit anderen Musikern zusammen, und ich mache mir nie Gedanken darüber, was andere wohl davon halten könnten. Das ist mir egal. Ich mache, was sich richtig anfühlt. Und meine Absichten sind immer klar und rein: Ich will etwas Aufregendes mit Musik machen. Rancid-Platten aufzunehmen und zu spielen ist dabei mein Favorit. Das ist mein Zuhause.
Klingt toll. Gab es auch schwere Zeiten?
Tim: Ja natürlich, für die Band gibt es schwere Zeiten, wie das eben im Leben so ist. Und weil wir Freunde sind, stehen wir das gemeinsam durch. Das haben wir auch immer geschafft.
Zum Beispiel?
Tim: Wir dachten, Matt hätte Lungenkrebs. Als er gerade als Bassist bei den Transplants eingestiegen war und wir kurz davor standen, eine Platte abzuliefern und auf Warped Tour zu gehen, bekam Matt eine Krebsdiagnose. Wir haben daraufhin die Transplants-Tour abgesagt. Man hat ihm einen Tumor entfernt, und der stellte sich als gutartig heraus, er würde also weiterleben. Ihm geht es wieder gut. Aber das wussten wir ja erst hinterher. Wir waren alle für ihn da. Jeder liebt Matt Freeman. Er ist ein Griesgram, aber ein guter Kerl (beide lachen).
Ihr kommt aus Arbeiterfamilien, aber die Arbeit auf dem Bau oder bei McDonald's ist ziemlich anders als der Arbeitsalltag eines Musikers. Wie findet ihr eure Verbindung zur Arbeiterklassenkultur?
Tim: Wir sind in diesem Umfeld aufgewachsen, und da verdient man mit solchen Jobs seinen Lebensunterhalt. Mein Vater arbeitete im Straßenbau, er hob Straßengräben aus. Später hat er als Hausmeister gearbeitet. Für das, was aus uns geworden ist, waren wir schon immer dankbar. Gleichzeitig hat es uns verändert, weil wir plötzlich etwas machen, das nichts mehr mit manueller Arbeit zu tun hat. Uns betrifft aber dasselbe Problem: Wenn du nicht arbeitest, hast du nichts zu essen. Wenn du keine Krankenversicherung hast, wirst du richtig krank. Das ist in Amerika immer noch anders als in Deutschland, wo es gesetzliche Krankenversicherungen oder von der Regierung gesponserte besetzte Häuser gibt. Das ist das eine. Und ich habe die Arbeitsmoral meiner Eltern geerbt.
Wie überträgt sich die?
Tim: Ich bin fleißig. Ich bin zwar Künstler, aber ich suche mir immer eine Beschäftigung. Ich mache täglich Musik, ich komponiere, außerdem male ich.
Lars: Meine Mutter ist im Nazi-besetzten Dänemark während des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen, und ein Großteil ihrer Familie wurde getötet. Sie arbeitete auf einem Bauernhof und ging kaum zur Schule. 1960 ging sie nach Amerika, um Kindermädchen zu werden - ohne ein Wort Englisch zu sprechen. Zuzusehen, wie sie jeden Tag hart arbeiten muss, um zu überleben und zwei Kinder allein großzuziehen, das gräbt sich in einen hinein.
Lars, als Hellcat-Chef macht Tim viele Erfahrungen mit anderen Bands. Hat das für Rancid neue Ideen oder neues Wissen gebracht?
Lars: Er ist ja nicht mein Boss oder so (lacht), ich arbeite für niemanden. Dass er Chef bei Hellcat ist, hat mir die Möglichkeit gebracht, Platten für dieses Label zu produzieren. Die ersten beiden Dropkick Murphys-Platten, die Heart Attacks und noch ein paar mehr. Aber das spannendste, das im Moment passiert, ist: Ich werde für Hellcat Records mit GBH zusammenarbeiten. GBH nehmen eine neue Platte auf, die ich mischen soll. Eine meiner absoluten Lieblingsbands erscheint jetzt auf dem Label meines besten Freundes - fuck yeah, mach mir einen Vertrag!
Gibt es in eurem Umfeld noch Leute, die sagen, was Punk ist und was nicht?
Lars: Schon. Damit haben wir aber nichts zu tun. Wir machen eh nur, was wir wollen. Punkrock heißt doch, dass man sein eigenes Leben lebt, und das sieht eben für jeden anders aus. Wir sind keine Bullen, wir sind keine Vorbilder. Wir sind Individuen, die eben schon sehr lange Punkrock spielen. Es ist nicht an uns, zu sagen, was richtig und falsch ist unter dem Dach des Punk. Uns war es auch schon immer scheißegal, was alle anderen machen oder sagen. Das finde ich völlig unwichtig. Wir machen unser Ding, und alle anderen sollen ihr eigenes Ding machen.
Tim: Vor 22 Jahren haben Freeman und ich die erste Platte mit Operation Ivy gemacht. Seitdem mache ich meine eigene Musik mit meinem Kumpels, und für alle anderen gilt: Wenn du dich dieser Reise anschließen willst, dann willkommen an Board.
Diese Reise hat euch auch zu Branden geführt, in dessen Haus ihr die Demos aufnahmt - in Utah. Wie war das für euch Kalifornier?
(beide lachen)
Lars: Das ist so eine andere Welt dort! Dort leben gefühlte 99 Prozent Mormonen, das schafft eine völlig fremde Atmosphäre. Wir sind ja schon in Salt Lake City aufgetreten, das ist eine Metropole, wie man sie kennt. Aber Orem ist das tiefste Hinterland. (lacht) Tim und ich waren unterwegs, um Essen zu holen, als ein Pickup-Truckfahrer neben uns hielt und uns mit Obszönitäten beschimpfte, weil wir Punker sind. Ich war richtig schockiert, weil uns das schon eine ganze Weile nicht mehr passiert ist. Aber Tim schaute mich nur an und sagte: Alter, wir haben es immer noch drauf. Wahnsinn.
Sechs Jahre Musik
Das letzte Rancid-Album "Indestructable" erschien 2003, im selben Jahr wie Pinks "Try This", bei dem Sänger Tim Armstrong an acht Songs mitarbeitete. Bereits 2004 kam "Viking", das zweite Album von Gitarrist Lars Frederiksen and the Bastards, an dem Tim Armstrong beteiligt war. 2005 legte Armstrong nach: "Haunted Cities" war das zweite Album seines Nebenprojekts Transplants, Matt Freeman wurde deren Live-Bassist. 2007 folgte Armstrongs Solodebüt "A Poet's Life". Im selben Jahr nahmen Rancid neue Demos auf, das Album "Let The Dominoes Fall" entstand im Laufe von 2008.