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Wenn die Sonne strahlt
Sol Gabetta sprüht Funken vor lauter Energie - nicht nur im Konzertsaal. Beim Frühstück erzählt sie mit solcher Hingabe, dass der Espresso kalt wird.
Etwas fehlt. Der Frühstückstisch ist reich gedeckt, Kerzen brennen zwischen Körben voller Brötchen und Croissants, Platten mit fein arrangiertem Aufschnitt und Käse, bunten Marmeladenschalen. Nur Honig ist nicht zu finden. Die Hotelkellnerin erscheint mit einem Glas Orangensaft. Sie kennt die Vorlieben der Cellistin bereits, weil die schon seit ein paar Tagen in Bad Salzuflen wohnt - in einem romantischen Hotel, das an diesem Adventwochenende von rauen Kerlen bevölkert ist, die zu einem Motorradtreffen angereist sind. Tee und Honig kämen sofort, versichert die Kellnerin. Derweil nippt Sol Gabetta am frisch gepressten Orangensaft. Den braucht sie wie andere ihren Morgenkaffee. Dabei ist es schwer vorstellbar, dass sie überhaupt etwas zum Wachwerden braucht.
"Mein Freund sagt, ich sei immer auf Null oder auf 100, aber 50 gebe es nicht bei mir. Das stimmt schon ein bisschen", sagt sie mit ihrem lustigen Akzent. Kritiker lassen sich begeistert über ihr Temperament aus - und schreiben es gern dem Umstand zu, dass sie im argentinischen Córdoba geboren wurde. Südamerika, Tango und dann noch ein Vorname, der auf Deutsch "Sonne" bedeutet, damit lässt sich eben Staat machen. Sol Gabetta reagiert darauf mit eben diesem Temperament: "Ich bin mit zehn Jahren weggegangen aus Argentinien, also was soll das, mir zu sagen, das Temperament käme aus Argentinien? Andere Leute in meiner Familie haben dieselben Wurzeln und sind ganz anders." Diese Wurzeln hat sie auf der ersten CD gewürdigt, die sie veröffentlichte: mit Ginestra - und Tschaikowsky und Saint-Saëns. Sie hat russische Großeltern, ihre Mutter ist Französin, nur der Vater Argentinier.
Und es gibt noch ein drittes Elternteil: Ivan Monighetti, den sie manchmal ihren musikalischen Vater nennt. Nach zwei Jahren an der Reina Sofia in Madrid folgt Gabetta dem Professor nach Basel. Dessen russische Cello-Schule ist streng. Das verträumte Kind lernt, dass es Noten, ganze Partituren lesen können müsse - was Gabetta heute meist auf Zugfahrten erledigt - aber Monighetti geht mit ihr auch spazieren, ins Museum, lehrt sie, dass man nicht immer nur üben kann. Die Intuition und die hochfliegenden Träume, wie ihr Cello klingen soll, hat sie sich indes bewahrt. "Wenn man eine starke innerliche Vorstellung davon hat, wie das Stück klingen soll - überwältigend, delikat, brutal, voller Liebe oder Trauer - kann man durch seinen Körper alles ausstrahlen", sagt sie. Und strahlt.
Das Geheimnis verborgener, unerklärlicher Energie entdeckte sie bei ihrer Schwester. Die ist Autistin, und in den Zeiten, in denen es ihr schlechtging, schafften fünf Männer es nicht, das kleine, dünne Mädchen vom Boden zu heben. "Es gibt also eine innere Kraft, die man selbst wahrscheinlich gar nicht kennt. Das habe ich bei meiner Schwester gesehen. Und deswegen arbeite ich sehr viel damit." Nach einem Edward Elgar-Konzert nennt die Baseler Zeitung sie "eine Fee ohne Flügel, aber mit Cello". Allerdings hat das zierliche, blonde Persönchen beachtliche Muskeln an Rücken und Armen.
Für einen Moment schweift Sol Gabettas Blick in die Ferne. In die Vergangenheit vielleicht. Sie vergisst den Espresso, den sie kurz zuvor bestellt hat, sinnt über ihre Spielweise nach, und schon schwappt wieder Leidenschaft herüber. Sie erzählt davon, wie sie ihr Guadagnini-Cello von 1759 bekam - oder es, wie sie es ausdrückt, traf. Schließlich sieht sie das Verhältnis zum Instrument wie das zu einem Menschen. "Jedes Instrument hat eine eigene Persönlichkeit, es hat schon einen Weg gemacht ohne die Person, die es gerade bekommt, es hat eine Geschichte, die wir als junge Künstler überhaupt nicht haben, es hat viel mehr Leben in sich als wir."
Sol Gabetta fühlt sich in ihr Cello hinein - und sie gibt auch etwas zurück. Wenn sie spielt, meint man, sie könne mit ihrem geneigten Kopf Energie ins Cello nicken, der Bogen scheint mal die Töne aus dem Instrument zu hacken, sie dann wieder gedehnt herauszuziehen, und ihre Finger fliegen, picken wie Kolibris an den Saiten. Diese Finger halten auch beim Erzählen selten still, schon zum zweiten Mal stoßen sie beinahe das Saftglas um. "Sehen Sie, so schnell ist etwas passiert!", ruft sie aus, weil sie gerade darüber spricht, wie man mit einem so wertvollen Instrument umgeht. Manchmal, so erzählt sie, kommen Leute ins Zimmer, wie zum Beispiel ein Zimmermädchen im Hotel, und die wissen sehr wohl, dass es ein fragiles Instrument ist, laufen aber zuweilen ganz dicht daran vorbei. Dann klopft ihr das Herz noch bis zum Hals, wenn sie das Cello schon längst wieder an sich gedrückt hat.
Sie spielt es mal zärtlich, mal elegant - und mal rabiat. Da lässt der Bogen Haare. Es kam schon vor, dass sie jemanden finden musste, der ihn ihr binnen einer Stunde behaart. Oder dass sie ohne Schuhe auf der Bühne saß, weil sie die vergessen hatte. Inzwischen macht sie vor jeder Abreise Listen: Kleider, passende Schuhe, Strümpfe, Noten, Kolophonium liegen in ihrem Koffer bereit. Und Traubenzucker, der ihre Konzentration zusammenhält. Heute ist für alles gesorgt, es ist sogar ein freier Tag auf der Konzertreise, und Sol Gabetta überlegt, ob sie nach Berlin fahren soll. "Aber es kommen vor Weihnachten noch wichtige Konzerte, die mich ein bisschen brauchen", sagt sie und lacht. Fast verlegen. Es soll niemand denken, sie sei vom Üben besessen.
Trotzdem müssen ihre Freunde in Berlin heute auf sie verzichten. Sie liebt die Stadt, lebt aber seit einigen Jahren auf dem Land. Ihr Haus steht in Olsberg, einem 300-Seelen-Dorf in der Schweiz. Dort hat sie seit 2006 ihr eigenes Festival: "Solsberg". Zu Beginn ist Sol Gabetta ist das Zugpferd in ihrem eigenen Zirkus - seine Anziehungskraft kommt aber vor allem daher, dass sie Musiker einlädt, mit denen sie eng befreundet ist: Patricia Kopatchinskaja, Henri Sigfridsson, Baiba und Lauma Skride, auch Ivan Monighetti und Gabettas Bruder Andrés spielten schon dort. Das Zwischenmenschliche, das der Musikerin so wichtig ist, strahlt nach außen. Noch eine Sonne.
Inzwischen träumt Sol Gabetta davon, die Veranstaltung so weit auszubauen, dass sie einmal einen ganzen Monat lang zu Hause sein kann. Auch ein Energiebündel mag Ruhe. Das Dorfleben, so gesteht sie kurz darauf, funktioniere für sie aber wohl auch deswegen, weil sie so oft unterwegs sei. Nur eines fehlt auf Reisen immer: Römerbrot. Das gibt es nur in Olsberg. Dort hinterließen die Römer dereinst ein Theater, in dem heute das traditionelle, schwere Brot gebacken wird. Ersatzweise lässt die Musikerin heute ihren Honig auf ein Vollkornbrötchen tröpfeln. Der Espresso ist kalt geworden. Draußen öffnet der Weihnachtsmarkt seine Hütten. Die große Attraktion ist ein Haflingerfohlen, das am nächsten Wochenende versteigert werden soll. Sol Gabetta ist dann schon weit fort. Ein paar Pferdehaare von ihrem Bogen lässt sie aber sicher zurück.