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Auf und davon
Ich bin hin- und hergeflogen, bis ich entschieden habe: Es reicht. Ich ziehe nach New York. Und nun soll ich übers Weggehen schreiben, was aus meiner Perspektive gar kein Weggehen ist. Ich bin aufs Hier konzentriert. Es scheint mir, als ginge es den anderen, die ich dazu befragt habe, genauso. Entwickeln wir einen blinden Fleck in dem amöbenhaften Gebilde, das sich Heimat nennt?
Zuerst heißt es ständig: Warum gehst du weg? Wie lange denn? Für immer? Gründe gibt es genug. Flucht, Langeweile, Abenteuerlust, Ehrgeiz. Manche fühlen sich einfach nicht verbunden mit dem Ruhrgebiet. Andere empfinden ihre Verwurzelung als Fessel. Manche sind auf der Suche. Oder sie haben da jemanden gefunden. Das kann man alles erklären. Und dann ist da noch etwas, das man beschreiben, aber nicht erklären kann.
Die ersten drei Töne aus einem Song aus der "West Side Story", im Drei-Minuten-Takt wiederholt im Quietschen einer anfahrenden U-Bahn an einer ganz bestimmten Haltestelle. Das kalte Silber von Regentropfen, die wie aus der Gießkanne herunterrauschen. Das klebrige Schweißdreckgemisch auf der Haut, wenn die Klimaanlagen es schaffen, den Verkehr zu übertönen. Die schwarz-weiße Glasur des Gebäcks, das in Deutschland "Amerikaner" heißt. Die Zehntelsekunde Innehalten, wenn die altbackene, zentralgesteuerte Heizung mit demselben "klonk" anspringt, wie ein Stein vom Herzen fällt.
Es sind Splitter aus Momenten, die im Grunde jeder erlebt haben kann, der einmal in New York war. Doch bei manchen bleiben sie tief drin stecken und funken Phantomschmerz, als würde ein Körperteil fehlen, wenn man nicht in New York ist. Regina Spektor, die vor langer Zeit aus Russland herkam und jetzt als New Yorker Musikerin gilt, sagt zu diesem Thema: New York sei so unmittelbar, man könne sich all diesen Gefühlen nicht entziehen, die die Stadt einem entgegenschleudert. Für mich trifft es das. Ich bin wegen New York hier. Und trotz New York.
Bei Tobias Prasse war das anders. Er stammt aus Dortmund, studiert in Essen an der Folkwangschule Fotografie. Als er 1999 sein Grundstudium hinter sich hat, denkt er über ein Auslandssemester nach. Aber seine Professorin meint, wenn er hier keine Lust mehr auf Schule hat, wird das anderswo kaum anders sein. Sie rät ihm, für ein Jahr wegzugehen, zu arbeiten, zu assistieren, Projekte zu machen. Die Idee gefällt ihm. "Dann habe ich mehr oder weniger mit dem Finger auf dem Globus gesucht", sagt er.
Er landet auf New York, einige Monate später dann in New York. "Ich war ein Jahr hier, und dann bin ich wieder zurückgegangen", sagt er. Pause. "Eigentlich." Denn uneigentlich lernt Tobias wenige Wochen nach seiner Ankunft in New York die Frau kennen, mit der er inzwischen seit sieben Jahren verheiratet ist. Er geht Ende 1999 zurück nach Essen, um sein Studium zu beenden, verbringt aber so oft es geht Zeit in New York. Zwischendrin fotografiert er seine Diplomarbeit in Bombay. "Danach hat es zwei, drei Monate gedauert, das Diplom auszuarbeiten und zu präsentieren, aber dann bin ich 2002 komplett umgezogen. Also so: Jetzt gehe ich für immer. Oder erst mal für eine lange Zeit."
Die Zeitfrage stellte sich für Raul Mandru andersherum: Wie lange soll er im Ruhrgebiet bleiben? Der Rumäne kommt 2003 für ein Designstudium nach Dortmund und bleibt in der Nähe, weil er von einer Düsseldorfer Agentur angestellt wird. Aber etwas treibt ihn. "Ich hatte längst im Hinterkopf, dass ich den nächsten Schritt machen muss und dafür außerhalb von Deutschland leben würde", sagt er. Seit Oktober 2009 ist er Art Director in New York. Ungefähr ein Jahr lang hat er genau beobachtet, welche Agenturen innovativ sind, zu welchen Firmen coole Kreativchefs wechseln, welche Branchenbewegungen zu verzeichnen sind. Immer wieder taucht eine Firma in New York in den Meldungen auf.
Die Herausforderung, da mitzumischen, trifft seine Erwartungen: "Ich finde das Niveau der Anforderungen viel, viel höher als bei meiner Arbeit in Deutschland. Bei allem wird viel weniger Zeit und viel mehr Qualität erwartet. Man rechnet nie Tage, um mit Konzepten zu kommen, hier geht es um ein paar Stunden. Und auch die Erwartungen vom Kunden sind höher, selbst Layouts, Ideen und Skizzen müssen fast wie ein fertiges Produkt aussehen." Deshalb, so sagt er, sei er hergekommen. Er will von Leuten lernen, die besser sind als er.
Die Fragen ändern sich: Woher kommst du? Tobias' Frau ist Inderin, die beiden Kinder sind Amerikaner. "Deutschland ist die Heimat, und hier in New York bin ich zu Hause", sagt er. Vielleicht wird er sich um die doppelte Staatsbürgerschaft bemühen. Den deutschen Pass würde er auf keinen Fall abgeben. "Wer weiß, wo meine Familie und ich mal landen. Es ist ja nicht gesagt, dass wir für immer hier bleiben."
Wenn Raul seinen Kollegen erzählt, dass er vorher in Deutschland war, hört er meistens: In Berlin? "Die kennen halt nur das. Aber denen erzähle ich, es ist eine echt geile Ecke zu leben, es hat sich so viel verändert, auch kulturell. Ich fand, dass ich da in einer sehr spannenden Zeit gelebt habe." Raul versucht erst gar nicht, das Ruhrgebiet und New York zu vergleichen. Komplett unterschiedlich, sagt er. Keins besser, keins schlechter, unvergleichbar.
Viele New Yorker sind besessen von ihrer Herkunft. Sie sind stolze Amerikaner. Und erzählen einem sofort, dass sie mütterlicherseits irisch und väterlicherseits italienisch sind. Oder französisch-indianisch-vietnamesisch, womöglich führen sie dabei noch die Anteile auf, als würden sie gemischtes Hack bestellen. Ein Achtel Pfund. Und wir sollen dann sagen, woher genau aus Deutschland wir denn kommen. Plötzlich muss man sich mit Geografie, Statistik, Geschichte auskennen. Dortmund. Essen. Bochum. Große Städte. Nicht mal ein Zehntel der Einwohner, die New York hat. Kleine Lichter. Einmal bin ich in Versuchung, Pleitgens überstrapazierten Vergleich mit dem Licht anzubringen, das man aus dem Weltall sieht. Wie die Chinesische Mauer. Und das größte Ballungsgebiet Europas. Na ja, es liegt halt in der Nähe von Düsseldorf und Köln.
Wenn Tobias ins Ruhrgebiet fährt, fühlt er sich wie ein Besucher. Allerdings einer, der an einen sehr vertrauten Ort zurückkommt. "Viele Leute sagen, dass die New Yorker so unfreundlich sind. Aber ich finde, das ist nicht richtig beobachtet. Wenn du zu langsam bist, nicht verstehst, was sie dir sagen, dann kommt das manchmal so rüber, als würden sie dich anpampen. Aber die New Yorker sind eigentlich sehr witzig und hilfsbereit, du musst halt nur auf zack sein. Diese schnelle, witzige Art hat etwas Ehrliches. Und ich finde,das haben die Leute im Ruhrgebiet auch. Das vermisse ich nicht."
Gerade weil man nicht da ist, ist es leicht, davon zu schwärmen. Die Leute im Ruhrgebiet haben mehrere Rezessionen überstanden, sie haben ihren Überlebenswillen mit Galgenhumor gekreuzt - ich finde, das kann New York jetzt brauchen. Wenn ich sage, die Ruhrgebietsmenschen können sehr direkt sein, wirken vielleicht rau dadurch, ertappe ich mich dabei, dass ich pathetisch anschließe: Sie haben aber ein Herz aus Gold. Kohle und Stahl haben es ja nicht gebracht.
Keiner, den ich hier getroffen habe, hat Heimweh. Auch wenn jedem etwas fehlt. Das Ruhrgebiet macht keinen Phantomschmerz. Es ist einfach da, tief drinnen.